Neue Materialien zur Erwachsenenbildung zum Thema Bildungsbenachteiligung

27.09.2013, Text: Bianca Friesenbichler, Redaktion/CONEDU
Über Bewältigungsformen und Kompetenzen von Menschen mit geringen Schriftsprachkompetenzen.
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Bildung sei heute in einem nie da gewesenen Ausmaß die Grundvoraussetzung für soziale Integration und für die Verteilung von sozialen Chancen. Das Menschenrecht auf Bildung werde damit zur "Menschenpflicht", so Manfred Krenn von der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt, FORBA. Er untersucht in einer kürzlich erschienenen Publikation die Entwicklung von Basisbildungsbedarf, insbesondere von geringen Schriftsprachkompetenzen (Lesen und Schreiben), und geht einen Schritt über viele andere Untersuchungen zu diesem Thema hinaus: Er fragt, welche Strategien Betroffene zur Bewältigung geringer Schriftsprachkompetenzen entwickeln und wie sie sich dennoch in unserer "Wissensgesellschaft" behaupten. "Aus dem Schatten des 'Bildungsdünkels'. Bildungsbenachteiligung, Bewältigungsformen und Kompetenzen von Menschen mit geringen Schriftsprachkompetenzen" von Manfred Krenn steht ab sofort als Ausgabe 1/2013 der Reihe "Materialien zur Erwachsenenbildung", herausgegeben vom Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur, zum Download bereit.

Lebenswelten und Ressourcen der Betroffenen kennen
Die vorliegende Studie versteht geringe Schriftsprachkompetenzen nicht als Folge individueller Lerndefizite, sondern als komplexes soziales Phänomen. Sie spürt den sozialen Prozessen der Entstehung von Bildungsbenachteiligung nach und leitet daraus Ansatzpunkte für Verbesserungsmaßnahmen ab. Bremer zieht dazu Milieustudien heran. Denn wenn Angebote der Erwachsenenbildung als "bildungsfern" bezeichnete Personen erreichen wollen, ist eine profunde Kenntnis ihrer Lebenssituation, ihrer Motivation und ihrer Lernkonzepte nötig, die möglicherweise konträr zu (negativen) Schulerfahrungen liegen. Daher erforscht die Publikation die Lebenswelten der Betroffenen sowie ihre Ressourcen und Bewältigungsstrategien von Bildungsbenachteiligung.

Studienergebnisse zu Basisbildung anders lesen
Manfred Krenn analysiert bereits publizierte Untersuchungen zur Basisbildung unter dem Fokus der Bewältigungsstrategien von Menschen mit geringen Schriftsprachkompetenzen. So zeige etwa die deutsche "leo. - Level-One Studie", die die Größenordnung von Menschen mit geringen Schriftsprachkompetenzen, sogenannte funktionale AnalphabetInnen, untersuchte (2008-2013), dass ein überraschend hoher Anteil dieser Menschen (57%) erwerbstätig sei. Einer Mehrheit der Betroffenen gelinge demnach auch in der "Wissensgesellschaft" eine Integration in den Arbeitsmarkt, schlussfolgert Krenn.

Entstehungszusammenhang von Bildungsbenachteiligung
Krenn führte im empirischen Teil Interviews mit 19 Männern und 10 Frauen; 5 davon weisen einen Migrationshintergrund auf. Die Interviews zeigen Mechanismen von Bildungsbenachteiligung auf: Die soziale Herkunft ist ein wesentlicher Einflussfaktor auf die Schriftsprachkompetenzen. So stammen zwei Drittel der Befragten aus (schul-)bildungsfernen Familien. Ein weiteres auffälliges Merkmal der Familienstrukturen der Befragten ist Kinderreichtum. Fast ein Drittel der Befragten kommt aus Familien mit mindestens fünf Kindern. Als weiteren Einflussfaktor benennt Krenn problematische Beziehungsmuster innerhalb der Familie wie etwa Gewalterfahrungen oder die Überforderung von Familien. Weitere Faktoren sind kritische Lebensereignisse, institutionelle (schulische) Diskriminierung oder schlechte Arbeitsbedingungen.

Bewältigungsstrategien von Bildungsbenachteiligten
Manfred Krenn versteht unter Bewältigungsstrategien jene Strategien der Betroffenen, sich im Leben und in der Gesellschaft zurechtzufinden und zu behaupten. So ist aktive Bewältigung hauptsächlich machbar, wenn Lernmöglichkeiten jenseits der Schule vorhanden sind, etwa im Sport. Die Betroffenen sind hoch motiviert, sich Kompetenzen in solchen Bereichen anzueignen; diese erworbenen Kompetenzen wiederum sind von anderen anerkannt und das stärkt den Selbstwert. Weitere Faktoren sind Freundschaften und enge soziale Kontakte jenseits der Herkunftsfamilie oder gesellschaftliche Rahmenbedingungen, welche Entwicklungspotenziale eröffnen wie etwa fördernde ArbeitgeberInnen. Auch eine milieuspezifische Leistungsorientierung wie etwa das im bäuerlichen Milieu stark verbreitete Arbeitsethos mit einer hohen Belastungsresistenz oder spezielle, auf die Zielgruppe ausgerichtete Weiterbildungsangebote sieht Krenn als Ressourcen für aktive Bewältigungsmuster. Darüber hinaus nennt er den sozialen Freiraum als Ressource, der gerade in sehr prekären familiären Bedingungen entsteht. Die Betroffenen können die Welt abseits von den zum Teil für sie "gefährlichen" familiären Bedingungen eigenständig und aktiv entdecken - gemeinsam mit Gleichaltrigen, ohne von Erwachsenen vorgegebenen Normen und Strukturen.

Neu: Dossier Alphabetisierung und Basisbildung
Zum Thema Basisbildung gibt es auf erwachsenenbildung.at seit Herbst 2013 auch ein Themendossier. Monika Kastner, Professorin an der Universität Klagenfurt, beschreibt darin auf differenzierte Weise die theoretischen Grundlagen, die praktische Umsetzung und die bildungspolitischen Hintergründe der Basisbildung in Österreich. Kastner unternimmt - wie auch Manfred Krenn am Beginn seiner Publikation - u.a. eine Bestimmung der Zielgruppe. Dabei sucht Kastner vor allem die Möglichkeiten einer nicht-diskriminierenden Bezeichnung, denn nach wie vor sei in der Forschung der eigentlich diskriminierende Begriff "funktionale AnalphabetInnen" sehr verbreitet. Ihr Vorschlag lautet "bildungsbenachteiligte Erwachsene mit Basisbildungsbedarf".
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