Die (Ohn-)Macht der Bilder

13.05.2013, Text: Adrian Zagler, Online-Redaktion
Wissen durch Bilder zu vermitteln, das verspricht die neuartige Buchreihe INFOcomics. Doch das Konzept geht nicht so recht auf.
Seit Herbst 2010 publiziert der Tibia-Verlag die „INFOcomics“, eine deutschsprachige Version der Reihe „Introducing“ aus dem angelsächsischen Raum. Die INFOcomics präsentieren auf je knapp 200 Seiten unterschiedlichste Wissensgebiete, etwa die Quantentheorie, die Wissenschaft der Psychologie oder das Leben und Werk Shakespeares. 17 solcher Bände sind bereits erschienen, allesamt „Sachcomics“. Das bedeutet, dass die Texte durch jede Menge Illustrationen, Karikaturen und Fotomontagen unterstützt werden. Zielgruppe der INFOcomcis sind laut Verlag MaturantInnen, Studierende und andere „Wissenshungrige“.

Kapitalismus, Psychologie und Aufklärung
Drei Bände der INFOcomics-Reihe liegen der Redaktion vor: „Kapitalismus“ (2010), „Psychologie“ (2011) und „Die Aufklärung“ (2012). Eine kurze Vorstellung: Der Kapitalismus-Comic beginnt mit dem Feudalismus des Mittelalters, dem Aufstieg der Banken und des Kreditsystems und beleuchtet die Theorien prominenter Ökonomen und Denker wie Karl Marx, John Stuart Mill, Adam Smith und Francis Fukuyama. Im Band zur Psychologie begegnet man neben allgemein bekannten Größen wie Freud und Darwin auch Pawlow und Skinner. Auch die wichtigsten Ansätze in der Psychologie werden erklärt, so etwa der humanistische, der kognitive und der psychodynamische Ansatz. In „Die Aufklärung“ schließlich dreht sich alles um die Denker des 18. Jahrhunderts: Locke, Voltaire, Diderot, Rousseau, Kant, Jefferson und viele andere.

Mehr ist weniger
Während „Kapitalismus“ historische Entwicklungen und unterschiedliche Denkansätze aufbereitet, versucht „Psychologie“ einen möglichst breiten Überblick über eine wissenschaftliche Disziplin zu geben. Positiv hervorzuheben sind hier die Abschnitte zu Sinn und Unsinn von Belohnung und Bestrafung. „Die Aufklärung“ dagegen liest sich wie ein „Who is who“ des 18. Jahrhunderts. Dabei kann die Fülle an Namen schon einmal überfordern, z.B. wenn im Kapitel „Die Kunst der Aufklärung“ innerhalb von nur fünf Absätzen ganze 22 Künstler und Theoretiker genannt werden. Auch die anderen Bücher weisen teils ähnliche Informationsdichte auf. Leider fehlen Aussprachehilfen bei schwierigen Namen und Begriffen (Mlle de l’Espinasse). Ohne entsprechende Vorbildung sind die Comics also keine leichte Kost.

Verwirrung statt Aufklärung
Gleichzeitig kann die oberflächliche Behandlung mancher Themen auch langweilen oder verärgern. In „Die Aufklärung“ z.B. wird das Konzept der Entropie erklärt, ohne seine Auswirkungen zu erwähnen, und die Magnetismustheorie wird nicht einmal definiert. Auch die inhaltlichen Gewichtungen sind diskussionswürdig: „Psychologie“ etwa gibt den zwar einflussreichen aber mittlerweile stark überholten Theorien Freuds viel Raum, und wählt damit einen historischen Zugang. Eine kritische Auseinsandersetzung mit Freuds Arbeitweise ist auf die letzten vier Zeilen einer Seite beschränkt, also dort, wo LeserInnen mit kurzen Aufmerksamkeitsspannen den Text nur noch überfliegen. Das liegt auch daran, dass der Text keine Abwechslung im Drucksatz bietet, um Wichtiges von weniger Wichtigem zu trennen. Die Überschriften und Unterüberschriften unterscheiden sich kaum voneinander. Beim Lesen verliert man hier leicht die Orientierung auf welcher Textebene man sich befindet, zumal ein Inhaltsverzeichnis fehlt. Auch die Zusammenhänge zwischen Teilgebieten, wie den unterschiedlichen Ansätzen in der Psychologie, werden grafisch so gut wie gar nicht aufbereitet, von Standardtabellen einmal abgesehen – dabei läge gerade hier der Vorteil eines grafisch aufbereiteten Mediums.

Eine Sprechblase macht noch keinen Comic
Das Verkaufsargument der Reihe ist ihr Untertitel: „Ein Sachcomic“. Damit, und mit den ansprechenden Buchcovern, wecken die HerausgeberInnen Hoffnungen, die sie später enttäuschen. Eine Liste der gröbsten gestalterischen Mängel aus Lesendensicht:
  • Der Untertitel „Sachcomic“ suggeriert, dass es sich um grafisch aufbereitete Information innerhalb einer fortlaufenden Erzählung handelt. Zu früh gefreut: Anstatt eines Comics erhält man ein Sachbuch, das auf jeder Seite ein Bild oder eine Grafik enthält. Diese Bilder stehen in keinerlei Verbindung zueinander; ja, oft nicht einmal mit dem sie umgebenden Fließtext. Sprechblasen allein machen noch keinen Comic.
  • Die meisten Grafiken wirken unnötig, unmotiviert und langweilig. Es reicht nicht aus, historische Persönlichkeiten über ihr eigenes Leben in der Vergangenheit reden zu lassen – die Bilder sollten für sich selbst sprechen.
  • Besonders „Kapitalismus“ und „Aufklärung“ sehen laienhaft formatiert aus: geringe Seitenabstände, blockhaft angeordneter und klein gedruckter Text mit geringem Zeilenabstand, und dazwischen übergroße Bilder. Jede einzelne Seite wirkt überladen und drückend.
  • Die Cover der einzelnen Bände sind ansprechend gestaltet, haben aber einen völlig anderen grafischen Stil als die Abbildungen im Inneren. Letztere könnten aus den 1970ern stammen, und sind oft zu dunkel und klein geraten.
  • Viele der gezeichneten Persönlichkeiten muss man erst einmal erkennen, denn nicht alle von ihnen werden im umgebenden Fließtext auch benannt. Und besonders in „Die Aufklärung“ sehen viele Protagonisten einander zum Verwechseln ähnlich. Der geringe Wiedererkennungswert der Figuren wirkt sich natürlich auch darauf aus, wie viel vom Gelesenen hängen bleibt.


Fazit
Der Band „Kapitalismus“ wartet inhaltlich und grafisch mit den meisten Ecken und Kanten auf, was ihn am Spannendsten macht. Besonders das Kapitel zur Wirtschaftskrise der 1920er und 1930er ist dabei natürlich mit kritischem Blick auf die aktuelle wirtschaftliche Situation zu lesen. Die eingearbeitete Polemik und Ideologisierung – Kapitalisten sind grafisch verzerrt und das Buch endet mit dem Kapitel „Die Blase platz“ – wirkt dabei erfrischend. Für die gesamte Reihe gilt: inhaltlich (historisch) gut aufbereitet, ideal für den schnellen Überblick und die Wissensauffrischung von LeserInnen mit Vorbildung, allerdings wenig lesefreundlich (viel Information auf wenig Raum) und grafisch enttäuschend. Von einer Reihe, die sich als Bildungsbuch an Wissenshungrige richtet, war mehr zu erwarten.

Die Bücher
Dan Cryan, Sharron Shatil & Piero: Kapitalismus – Ein Sachcomic, 1. Auflage 2010, ISBN 978-3-935254-22-9
Nigel C. Benson: Psychologie – Ein Sachcomic, 1. Auflage 2011, ISBN 978-3-935254-29-8
Lloyd Spencer & Andrzej Krauze: Die Aufklärung – Ein Sachcomic, 1. Auflage 2012, ISBN 978-3-935254-35-9

Alle Bände: Paperback, 12,5 x 18 cm, 176 S., EUR 10,20

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