Erwachsenengerecht und kostenlos: Mit dem BFI zum Pflichtschulabschluss

07.08.2012, Text: Michaela Schneider, BFI Österreich
Ein neues Gesetz erleichtert das unentgeltliche Nachholen des Pflichtschulabschlusses und eröffnet Bildungs- und Berufsmöglichkeiten.
Das Pflichtschulabschluss-Prüfungs-Gesetz
Wenn am 1. September 2012 das Bundesgesetz über den Erwerb des Pflichtschulabschlusses durch Jugendliche und Erwachsene in Kraft tritt, erfüllt der Gesetzgeber damit unter anderem die langjährige BFI-Forderung nach einer altersgerechten Alternative zur Externistenprüfung. Im Zuge des Begutachtungs- und Konsultationsverfahrens zum Gesetzesentwurf gelang es, noch einige wichtige Verbesserungen für die Erwachsenenbildung zu erreichen. Michael Sturm, Geschäftsführer des BFI Österreich, hebt "die Zusammenführung der Prüfungsgebiete und die Reduktion der Teilprüfungen sowie die Anerkennung von Lehrgängen und Prüfungen an Erwachsenenbildungseinrichtungen" als besonders positiv hervor. Das neue Modell orientiert sich an der Berufsreifeprüfung, die die Berufsförderungsinstitute seit 1997 mit großem Erfolg durchführen, und sieht kompetenzbasierte Curricula vor. Dadurch soll der Pflichtschulabschluss für die Zielgruppe – Jugendliche ab dem vollendeten 16. Lebensjahr und Erwachsene, die im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht keinen erfolgreichen Abschluss der 8. Schulstufe erlangten – attraktiver werden.

Kein Schulabschluss oft gleichbedeutend mit Arbeitslosigkeit
Laut Schulstatistik der Statistik Austria beenden in Österreich jährlich rund zwei Prozent der Vierzehnjährigen die Pflichtschulzeit ohne Abschluss und nehmen auch im Folgejahr keine weitere Ausbildung auf. Im Schuljahr 2008/09 (aktuellere Daten stehen derzeit nicht zur Verfügung) waren das beispielsweise 1.498 junge Menschen. Annähernd ein Drittel davon sind Mädchen, circa zwei Drittel Burschen. Bei SchülerInnen mit nicht-deutscher Umgangssprache liegt der Anteil mehr als viermal so hoch wie bei jenen mit Muttersprache Deutsch. Ohne Pflichtschulabschluss steigt das Risiko, arbeitslos zu werden. Das belegen regelmäßig österreichische wie internationale Studien. Und die Arbeitslosenstatistik: Zum Stichtag 30. Juni 2012 wies sie 14.445 Personen ohne abgeschlossene Schulbildung als arbeitslos aus; das waren 6,6 % aller Arbeitslosen und um 5,7 % mehr als im Vorjahr.

Abschlüsse nachholen: Das BFI als Vorreiter
Das BFI machte es sich früh zur Aufgabe, Menschen beim Erwerb formaler Abschlüsse sowohl im ersten als auch im zweiten Bildungsweg zu unterstützen. Das Angebot reicht von der Hauptschule über die Handelsschule und Handelsakademie bis zur Hochschule, auch Lehrabschlüsse und Werkmeisterschulen gehören dazu. Gerade das Nachholen des Hauptschulabschlusses hat eine sehr lange Tradition am BFI. Initiiert hatte die Vorbereitungslehrgänge 1981 der damalige Leiter des Berufsförderungsinstituts, Prof. Bernd Ingrisch, der das Unterrichtsministerium und die Arbeitsmarktverwaltung von der Notwendigkeit überzeugen konnte, Jugendlichen ohne Schulabschluss entsprechende Bildungschancen zu eröffnen. Mehr als drei Jahrzehnte gibt es diese Möglichkeit mittlerweile am BFI Wien und über ein Vierteljahrhundert am BFI Tirol; auch das BFI Oberösterreich nahm den Hauptschulabschluss in den 1990er Jahren ins Programm auf.

Berufskundliche Hauptschulkurse am BFI Tirol
In Tirol führt das BFI schon seit 1985 im Auftrag des Arbeitsmarktservice als einziger Anbieter erfolgreich berufskundliche Hauptschulkurse für Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren durch. An die 1.000 junge Menschen hatten seither die Gelegenheit, ihren Hauptschulabschluss nachzuholen. Die Vorbereitungslehrgänge decken den Lehrplan der 4. Hauptschulklasse ab und dauern zehn Monate. Der Unterricht findet in Kleingruppen von sechs bis zehn SchülerInnen statt. "Dadurch ist es möglich, die Lernfortschritte genau wahrzunehmen und die Jugendlichen gezielt zu fördern", erklärt Oswald Zangerle, Leiter der berufskundlichen Hauptschulkurse am BFI Tirol. Und Maria Kalcsics, Leiterin der Sparte "Allgemeine Aus- und Weiterbildung" fügt hinzu: "Ein multiprofessionelles Team, bestehend aus zehn LehrerInnen und zwei SozialpädagogInnen, ist für Unterricht, persönliche Begleitung und Berufsvorbereitung verantwortlich. Unser besonderes Augenmerk richten wir dabei auf die Aufarbeitung der Ursachen des bisherigen Scheiterns in der Regelschule."

Pflichtschulabschluss neu
Das BFI Oberösterreich stellte seine Lehrgänge an den Standorten Linz, Steyr und Wels bereits Anfang 2012 auf das neue System um, weitere Regionalstellen sollen folgen. Auch am BFI Steiermark laufen schon seit dem Frühjahr adaptierte Kurse in Graz, Kapfenberg und Köflach, eine Ausweitung auf andere Bildungszentren ist vorgesehen. Im Herbstsemester bietet das BFI Salzburg erstmals Vorbereitungslehrgänge für den reformierten Pflichtschulabschluss an, in der Stadt Salzburg und in Zell am See. 2013 starten die an die neue gesetzliche Regelung angepassten Kurse (und Prüfungen) dann auch an den Berufsförderungsinstituten in Tirol und Wien.

Was wird geprüft?
Die neue Pflichtschulabschlussprüfung umfasst sechs Kompetenzfelder:
  • Deutsch - Kommunikation und Gesellschaft
  • Englisch - Globalität und Transkulturalität
  • Mathematik
  • Wahlweise zwei der folgenden Gebiete:
    o    Kreativität und Gestaltung
    o    Gesundheit und Soziales
    o    Weitere Sprache
    o    Natur und Technik
  • Berufsorientierung


Mit Ausnahme von Deutsch und Mathematik, wo sowohl eine einstündige Klausurarbeit zu schreiben als auch eine mündliche Prüfung abzulegen ist, können die PrüfungskandidatInnen zwischen schriftlicher und mündlicher Prüfung wählen, in den beiden selbst ausgesuchten Kompetenzfeldern ist außerdem als dritte Option eine Projektarbeit zulässig. Im Prüfungsgebiet "Berufsorientierung" ist ein der Prüfungskommission vorgelegtes Portfolio zu präsentieren.

Jetzt gratis für alle
Das Pflichtschulabschluss-Prüfungs-Gesetz stellt in Verbindung mit der Vereinbarung gemäß Artikel 15a Bundes-Verfassungsgesetz zwischen dem Bund und den Ländern über die Förderung von Lehrgängen für Erwachsene im Bereich Basisbildung/Grundkompetenzen sowie von Lehrgängen zum Nachholen des Pflichtschulabschlusses auch in Sachen Finanzierung einen Meilenstein dar. Kam bisher überwiegend das Arbeitsmarktservice für die Kosten auf, so tragen sie nun Bund und Länder je zur Hälfte, und zwar nicht nur für Jugendliche, sondern auch für Erwachsene. Die vom BFI immer wieder verlangte generelle Unentgeltlichkeit des Pflichtschulabschlusses ist damit Realität. "Mit diesem Gesetz und der nötigen Finanzierung ist endlich eine gravierende Lücke im österreichischen Bildungssystem geschlossen und Jugendliche wie Erwachsene können österreichweit im zweiten Anlauf die Grundlage für jede weitere Berufsbildung schaffen", zeigt sich Sturm erfreut und hofft, "dass viele von dieser neuen Möglichkeit erfahren und Gebrauch machen".

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