Bringt mich Bildung noch weiter?

25.07.2012, Text: Wilfried Hackl u. Bianca Friesenbichler, Redaktion/CONEDU
Die Gesellschaftliche Mitte als Kernpublikum der Erwachsenenbildung ist vom Abstieg bedroht. Zukunftsforum diskutierte die Folgen.
"Die Mittelschicht gerät in vielen europäischen Ländern unter Druck. Gerade Griechenland hat uns dies jüngst vor Augen geführt." Mit diesen Worten eröffnete der neue Generalsekretär des österreichischen Volkshochschulverbandes, Gerhard Bisovsky, das 4. Zukunftsforum der Volkshochschulen. Dabei sei doch die Mittelschicht seit jeher die Kernklientel der Erwachsenenbildung, was insbesondere die VHS-Statistik zeige. Zwar fördert die Bildungspolitik ganz massiv den Zugang benachteiligter Gruppen zum lebenslangen Lernen, dennoch will niemand den Träger der modernen Demokratie, die Mittelschicht, aus den Augen verlieren. Unter diesen Vorzeichen tagten von 9.-11. Juli rund 90 VertreterInnen von Volkshochschulen und anderen Einrichtungen der Erwachsenenbildung aus Österreich, Deutschland und 10 weiteren europäischen Nationen in den über tausendjährigen Gemäuern des bayerischen Bildungszentrums Kloster Seeon.

Vorträge bestätigen: Die Mittelschicht schrumpft
Führt eine Gesellschaft ohne Mitte die Erwachsenenbildung ins Out? Zur Erörterung dieser Frage waren eine Reihe von SprecherInnen wie etwa der italienische Soziologe und Berater Sergio Bologna oder die deutsche taz-Journalistin Ulrike Herrmann eingeladen. Waren Angehörige der Mittelschicht früher TrägerInnen und GewinnerInnen des Sozialstaates, werden sie heute zwischen grenzenlosem Gewinnstreben der globalisierten Wirtschaft und dem Um- und Abbau des Sozialstaates aufgerieben. Für diese Ausgangsthese vermochten sowohl Bologna als auch Herrmann eine Reihe von Belegen anzuführen. In Deutschland, zeigte Herrmann auf, seien von 1998-2008 viereinhalb Millionen Deutsche der Mittelschicht verloren gegangen - vorwiegend durch Abstieg. Bologna ergänzte, dass sich die Mittelschicht insgesamt in einer Identitätskrise befinde, einer Krise der Werte und der Wahrnehmungsfähigkeit, "als ob sie nicht mehr fähig wäre, eigene politische Interessen zu vertreten und zu entscheiden". Befragungen zeigten, dass Mittelschichtszugehörige Angst vor der Zukunft haben und die drohenden Verluste spüren.

TeilnehmerInnen zweifeln am Nutzen der Weiterbildung
Die Mittelschicht schrumpft, aber wie betrifft uns das als ErwachsenenbildnerInnen, fragten sich viele der Anwesenden. Folgt man der österreichischen VHS-Statistik, so lässt sich der diagnostizierte Mittelschichtschwund noch nicht als Rückgang bei den TeilnehmerInnen interpretieren. "Bezogen auf die sozialen Gruppen ist die Mittelschicht als VHS-Publikum in Österreich über die Zeit stabil", berichtet der Bildungssoziologe des VÖV und Veranstalter Stefan Vater. Allerdings müsse man die neueren Forschungen aus Frankreich in Erwägung ziehen und sich angesichts dessen fragen, ob nicht der Glaube an die Aufstiegsbildung abnehme und die Sorge vor einer Deklassierung zunehme. Vor diesem Hintergrund müsste man von einem drohenden TeilnehmerInnenschwund ausgehen. Gerhard Bisovsky: "Wir haben Rückgänge in den Kerngebieten Sprachen, Kultur und Persönlichkeitsentwicklung, aber Zunahmen bei den Gesundheitsangeboten als Ausgleich für den belastenden Job." Elisabeth Brugger, pädagogische Leiterin der Wiener Volkshochschulen, wiederum führte aus, dass die Teilnehmenden zunehmend genauer erwägen würden, wofür sie Geld ausgeben. Man könnte also fragen, ob private Bildungsausgaben noch als zumutbar erachtet werden, wenn der Glaube an ein Weiterkommen durch Bildung wegfällt.

Bildung: Nicht Mittel zum Aufstieg, sondern Schutz gegen den Abstieg
Das Verheißen, durch Bildung zu den gesellschaftlichen GewinnerInnen zu zählen, wurde auch beim Zukunftsforum propagiert. Ralf Holtzwart von der bayrischen Bundesagentur für Arbeit: "Ausbildung ist noch immer die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit", dies zeige die Statistik. Aber vor Arbeitslosigkeit gefeit zu sein, bedeutet noch nicht, auf der GewinnerInnenseite zu stehen. Herrmann führte dazu aus: "Noch nie waren die Menschen so gut ausgebildet wie heute, und trotzdem sinken die Reallöhne." Gewinner seien also nur die KapitaleignerInnen und AktionärInnen, die in den Jahren 2005-2008 um 15 Prozent mehr Einnahmen gemacht hätten, während die Löhne - für Deutschland - faktisch um 2 Prozent zurückgegangen seien. "Diese Situation ist historisch einmalig", so Herrmann. Die Mittelschichtszugehörigen proben aber den Aufstand nicht: Sie unterliegen der trügerischen Hoffnung, "selbst zu denen da oben zu gehören." Herrmann argumentiert daher, dass die Lösung für die aufgehende Einkommensschere nicht in der Bildung zu suchen sei. "Wirtschaftlicher Zusammenhalt muss über Steuern und Vermögensausgleich gewährleistet werden, nicht durch Anpassungsleistungen der Einzelnen mittels Lernen." Ein Statement, das vom Publikum mit Applaus entgegengenommen wurde.

Erwachsenenbildung soll politischer werden
Die abschließende Podiumsdiskussion gelangte schließlich zur Frage danach, wie denn die Erwachsenenbildung den beschriebenen Phänomenen entgegenwirken könne. Ulrike Herrman prognostizierte einen politischen Wandel, der sich bei zu großer Ungleichheit ohnehin einstellen werde. Gerhard Bisovsky meinte, es sei Aufgabe der Erwachsenenbildung, dem Auseinanderdriften der Gesellschaft entgegenzuwirken. Dafür seien regionale und lokale Lösungen im Gespräch mit den Betroffenen zu erarbeiten. Sergio Bologna schlug in dieselbe Kerbe und mahnte mehr "Civic Education" ein, also Bildung für mehr soziale Innovation. Der Vorsitzende des Bayerischen Volkshochschulverbandes Karlheinz Eisfeld forderte die öffentliche Verantwortung einmal mehr ein: "Das Bildungsproblem ist kein Ausgabenproblem, sondern ein Einnahmenproblem. Das Geld ist ja gesellschaftlich da." Das Publikum erteile breite Zustimmung, und Bisovsky erinnerte: "Demokratiebildung bleibt eine Aufgabe für uns, für die wir aber derzeit keine befriedigenden Formate haben."

Das Zukunftsforum
Das Zukunftsforum der Volkshochschulen ist das Nachfolgeformat der über fünf Jahrzehnte populären "Salzburger Gespräche" und wird seit 2009 jeden Sommer abgehalten - heuer erstmals in Deutschland und in Kooperation mit dem Bayerischen Volkshochschulverband (bvv). Nach drei Jahren wagten sich die OrganisatorInnen damit erstmals über die österreichischen Grenzen hinaus. Das nächste Zukunftsforum wird in Salzburg stattfinden und unter dem Titel "Antworten auf die Krise! Erwachsenenbildung und ihre Aufgaben in schwierigen Zeiten" stehen. Für 2014 ist bereits Südtirol aus Veranstaltungsort anvisiert.
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