Schreiben lernen 2.0

05.07.2012, Text: Adrian Zagler, Online-Redaktion
Wie Blogs und andere Kommunikationsressourcen des Web 2.0 die Schreibkompetenz erhöhen. (Serie: Blogs in der Erwachsenenbildung, 3)
Guter schriftlicher Ausdruck, ob in der Mutter- oder einer Fremdsprache, ist eine Schlüsselkompetenz. In der Erwachsenenbildung kommt sie, besonders im kommunikativen Sprachunterricht, dafür oft zu kurz. Das Web 2.0 bietet einzigartige Chancen, das Schreiben in die Lehre zu integrieren, ohne andere Kompetenzen zu vernachlässigen.

Motivationen aufdecken
Die Motivationen dafür, richtig und gut Schreiben zu lernen bzw. sich darin zu verbessern, fallen unter Erwachsenen recht unterschiedlich aus. Schreiben kann z.B. beruflich gefragt sein, für Geschäftskorrespondenz,  Öffentlichkeitsarbeit oder Fachpublikationen. Die unmittelbare Anwendbarkeit des Gelernten im Beruf ist ein wichtiger Motivationsfaktor für WeiterbildungsteilnehmerInnen, darum bietet es sich an, das Schreiben (in Sprachkursen) von diesem Standpunkt aus zu betrachten. Für andere Lernende kann das Schreiben ein therapeutisches Mittel sein: die Möglichkeit, sich endlich mitzuteilen. Vor allem Menschen in Basisbildungskursen oder auch MigrantInnen in Deutsch-als-Zweitsprache-Kursen profitieren davon, dass sie ihre Geschichten auch schriftlich erzählen können, wie z.B. das von der VHS Linz herausgegebene Buch "schriftlos heißt nicht sprachlos" zeigt. Aus Zeitmangel kommt das Schreiben in Erwachsenenbildungskursen jedoch oft zu kurz, oder beschränkt sich auf einige wenige Phrasen und Sätze. Kreativität ist gefragt, um die Lernenden auch außerhalb der Kontaktstunden zum Schreiben zu bringen - zum Beispiel durch Blogs.

Förderung der Lernautonomie
Für manche Lernenden mag allein das Faktum, dass Blogaufgaben in die allgemeine Kursbeurteilung eingerechnet werden, genügend Motivation sein. Für die meisten jedoch ist es wichtig, den Mehrwert des Bloggens für ihren Lernfortschritt zu erkennen, so die Taiwanesin Yu-Chih Sun, die sich extensiv mit dem Bloggen als Unterrichtsmethode beschäftigt hat. Laut Sun kann das Bloggen im Fremdsprachenunterricht zahlreiche positive Auswirkungen haben. "Die Resultate zeigen, dass Bloggen die generelle Schreibkompetenz verbessern, autonome Kontrolle der eigenen Textproduktion erhöhen und eine positive Einstellung zum Schreiben in der Fremdsprache fördern kann. Die Studie schließt daraus, dass das Schreiben von Weblogs die Schreibkompetenz der Lernenden erhöhen, ihre Schreibmotivation verbessern und ihre Selbstüberprüfungsstrategien und Lernautonomie fördern kann." So zeigte sich z.B., dass am Ende des Beobachtungszeitraums die Studierenden zwar einfachere Satzkonstruktionen verwendeten, die Texte insgesamt aber besser strukturiert waren. Sun hat auch Erfahrungen mit Voice-Blogs und berichtet, dass diese die Sprechkompetenz signifikant steigern, besonders wenn sie kontinuierlicher Teil des Lernprozesses sind.

Authentisch und zweckgerichtet
Die positiven Auswirkungen auf den Lernfortschritt generell und die schriftliche Kompetenz im Speziellen machen das Bloggen jedoch noch nicht zu einer einzigartigen didaktischen Methode. Die Besonderheit des Bloggens ergibt sich aber dadurch, dass im Web 2.0 individueller Lehrraum und globale Kommunikation zusammenfallen. Konkret heißt das: die Lernenden sind einerseits thematisch, zeitlich und örtlich kaum in ihrer Schreibtätigkeit gebunden, lernen aber andererseits meist recht schnell, lesegerechter zu schreiben - vor allem dann wenn das Bloggen nicht rein extrinsisch motiviert ist, sondern auch dem Wunsch nach Anerkennung durch ein weltweites oder zumindest breiter gefächertes Publikum entstammt. Bloggen unterstützt laut Sun authentische und zweckgerichtete Sprachverwendung und wirkt sich damit positiv auf die generelle Schreibkompetenz in der Fremdsprache aus. Sun fand in ihrer Untersuchung heraus, dass die Studierenden die meiste Zeit damit verbrachten, Blogeinträge zu überarbeiten und zu kontrollieren, und sich damit auch selbst überprüften. Ihre Studie, nachzulesen in Ausgabe 47 des Magazins Innovations in Education and Teaching International, schließt damit an ähnliche Ergebnisse anderer ForscherInnen, wie Beauvois, Godwin-Jones und Richardson an. Demnach bringt Bloggen Menschen dazu, kritischer zu lesen und zu schreiben, trainiert Informationsmanagement, und ihre Texte vermehrt an das Zielpublikum anzupassen. Durch die Kommentarfunktion bleiben Fehler und textliche Schwächen nicht lange unentdeckt, wenn BlognutzerInnen sich gegenseitig korrigieren.

Der Kreativität sind kaum Grenzen gesetzt
Wenn es um Unterricht im und mit dem Web 2.0 geht, sind Blogs noch lange nicht das Ende der Fahnenstange. Im Mai dieses Jahres widmete sich die "DaFWEBKON 2012", die Internet-Konferenz für Deutsch als Fremdsprache und webbasierten Unterricht ganz den didaktischen Möglichkeiten im sozialen Web. Die Forderungen der Vortragenden waren: Neue Lernkulturen zulassen und hin zum Blended Learning entwickeln, das traditionelles Lehren durch eine Lehrperson mit autonomem Lernen mischt. Und dafür bietet das Web 2.0 ein riesiges Instrumentarium, von YouTube, über Wikis, Twitter, Flickr, Google Maps und Social Bookmarking. All diese Werkzeuge lassen sich je nach Kontext miteinander verbinden, und der Kreativität ihrer Anwendung sind kaum Grenzen gesetzt. Im Folgenden einige Beispiele:

Wikis: Wissen gemeinsam erarbeiten
Wikipedia ist längst zum Allgemeingut geworden, aber wie viele nutzen Wikis auch als AutorInnen? Unter Wikis versteht man, vereinfacht gesagt, gemeinschaftlich erstellte Wissens- und Informationsdatenbanken. Diese lassen sich in diverse Kurse in der Erwachsenenbildung integrieren; sei es z.B. im Sprachunterricht, wo die Lernenden Seiten zu spezifischen Bräuchen, Sehenswürdigkeiten, Delikatessen und politischen und kulturellen Eckpfeilern eines Landes anlegen, oder in Management-Seminaren, wo die TeilnehmerInnen verschiedene Führungs- und Motivationsstrategien beleuchten. Das wichtigste Merkmal der Wikis ist, dass in ihnen Wissen gemeinsam erarbeitet wird. Nicht nur ein Autor/eine Autorin arbeitet an einem Artikel, sondern eine ganze Gruppe kann den Text immer wieder verändern und auch über Sinn und Unsinn einiger Passagen diskutieren. Das hat auch unmittelbare Auswirkungen auf die Lehr-Lern-Konzeption, da die Rollen von ExpertInnen und Lernenden mit einander verschmelzen - insbesondere in der Erwachsenenbildung ein positiver Nebeneffekt.

Twittern: Reduktion auf das Wesentliche
Wer twittert, muss Informationen präzise und verständlich in maximal 140 Zeichen verpacken und trainiert damit lese-orientiertes Schreiben. (Anm.: Wie etwa im vorangegangenen Satz.) Mit Twitter kann sich jede und jeder ein eigenes, thematisches Netzwerk von InformantInnen aufbauen und so relativ kurzfristig nicht nur Informationen teilen, sondern auch erhalten. Twittern allein eignet sich als Lernmedium kaum, kann jedoch eine sinnvolle Kommunikationsstrategie in einer Gruppe Lernender bzw. bei autodidakten LernerInnen darstellen. In Hinblick auf das Training von Schreibkompetenzen ist Twittern die Kunst der Reduktion auf das Wesentliche, gepaart mit der Verknüpfung von Informationen zu gemeinsamen Themen durch Beschlagwortung ("#Hashtagging"). Ein gutes Beispiel hierfür gab die Verwendung einer sogenannten Twitterwall im Rahmen der Basisbildungskonferenz 2012 in Graz.

Flickr: Inspiration und bildgestütztes Üben
Sogar die Foto-Plattform Flickr kann mit etwas Kreativität und Mut in der Lehre eingesetzt werden, auch wenn hier die Verbindung zum Schreiben Lernen vielleicht nicht so offensichtlich ist, wie bei Twitter und Co. Denkbar sind z.B. fotogestütztes Vokabeltraining oder dass die Lernenden ganze Fotostrecken erstellen, mithilfe derer sie Geschichten erzählen oder Konzepte anschaulich machen. Damit können die KursteilnehmerInnen selbst das Gelernte in Bilder umsetzen, auf die Plattform hochladen und kommentieren, und sich auf diese Weise Wissen tatsächlich zu eigen machen. Eine Flickr-Suche kann auch den notwendigen Anstoß geben, wenn die Inspiration z.B. beim kreativen Schreiben ausbleibt - Stichwort "Flicktion". Dabei wird zu einem zufällig ausgewählten Bild eine Geschichte verfasst.

Anwendungsbezogene Lehre
Alle genannten Formen des Web 2.0 haben gemeinsam, dass sie den Lernprozess auf vier verschiedene Arten unterstützen: durch learning-by-doing, durch aktive Reflexion, durch soziale Kooperation und durch die Aneignung zusätzlichen Wissens. Darüber hinaus fördern sie differenzierte Zugänge zum Schreiben, ob in der Muttersprache oder einer Fremd- bzw. Zweitsprache. Basisbildnerin Renate Ömer aus Niederösterreich hat nach eigenen Angaben nicht nur bereits Facebook und YouTube, sondern auch Piratenpad, Picasa, Chats, Online-Lernplattformen und Vidorials in ihre Lehre eingebaut. Von den Vorteilen der sozialen Medien ist sie überzeugt: "Das Web 2.0 bietet ausgezeichnete authentische Anwendungsfälle, die ich pädagogisch nutze. Viele Deutsch-als-Zweitsprache-Lernende nutzen diese Kommunikationskanäle bereits privat." Auch am Internationalen Sprachenzentrum (ISZ) in Graz ist spürbar, dass E-learning und blended learning in Erwachsenenbildungskursen immer stärker nachgefragt werden. Die E-learning-Beauftragte des ISZ, Andrea Landauf, berichtet jedoch, dass ihre durchwegs älteren KollegInnen das Web 2.0 weniger als Möglichkeit denn als Bedrohung begreifen würden. Sie selbst leitet derzeit ein E-learning-Pilotprojekt, bei dem sie vor allem auf die Standardanwendungen Moodle und Skype zurückgreift. "In den Kursen sitzen meist Leute, die 40, 50 Jahre alt sind. Für die ist es oft schon eine Herausforderung, mit Skype zu arbeiten. Ein Blog wäre zu kompliziert." In Österreich scheint es also noch eine Weile zu dauern, bis sowohl Lehrende als auch Lernende flächendeckend genug Medienkompetenz besitzen, um die Chancen des Web 2.0 in der Lehre auch nutzen zu können.
Weitere Informationen:
  • Nachricht vom 19.03.2012

 

Serie: Blogs in der Erwachsenenbildung