"Recht auf Ruhe"

06.07.2011, Text: Bernadette Konzett, Redaktion: Julia Goldgruber, Online-Redaktion
VHS-Trainerin Bernadette Konzett zur Diskussion um aktives Altern und Erwachsenenbildung: Ist der Lebensabend bald verschwunden?
Worin liegen die Möglichkeiten und Grenzen einer Erwachsenenbildung, die aktives Altern im besten Sinne zu unterstützen vermag? Die jüngste Ausgabe des Magazin erwachsenenbildung.at geht dem in 14 Beiträgen und 4 Rezensionen nach. Sie fragt nach einem angemessenen Bild von Alter und Altern, nach sozialen Einschränkungen und individuellen Ressourcen für das Lernen Älterer und nach einer geeigneten Lehr-Lernkultur. Bernadette Konzett,Volkshochschule Ottakring äußert in essayistischer Form ihren Standpunkt zur Forderung nach aktivem Altern.

Altern betrifft auch mich
Aktiv gealtert habe ich zwischen 20 und 30: mit einer Unmenge an Zigaretten, Bier, ungesundem Essen. Es muss ungefähr um meinen dreißigsten Geburtstag herum gewesen sein, als eine gewisse Passivität dem Altern gegenüber einsetzte (oder ist schon von einer altersbedingten Lethargie zu sprechen?): Seither überlasse ich es nämlich der Zeit. Es geschieht mit mir, ohne dass ich noch besonders nachhelfe. Manchmal betrachte ich nachdenklich vereinzelte graue Haare im Spiegel. Die ersten. Es betrifft also auch mich, das Altern, stelle ich überrascht fest.

Altern geschieht - ohne aktive Nachhilfe
Abgesehen aber von dem eingangs erwähnten Raubbau am Körper gilt: Es ist unmöglich, aktiv zu altern. Wir können im Alter aktiv sein, natürlich, aber ist es Zufall oder Nachlässigkeit, dies als "aktiv altern" zu bezeichnen? Oder steht hinter dieser sprachlichen Ungenauigkeit ein Interesse einer noch zu benennenden Macht? Einer Macht, die uns nicht gestattet, etwas einfach mit uns geschehen zu lassen oder die Zügel aus der Hand zu geben. Die uns zwingt, alles aktiv zu gestalten und uns suggeriert, dass das möglich sei? Die uns einreden will, wir hätten selbst Vorgänge wie das Altern in die Hand zu nehmen? Einer Macht, die sich Technokratie nennt?

Altern erinnert an den Tod und wird daher ausgeklammert
Der zwanghafte Glaube der TechnokratInnen ist es, alles machen, lenken und gestalten zu können, mehr noch: zu müssen. Alles, was sich dem widersetzt, soll ausgemerzt werden. Dazu gehört natürlich die Sterblichkeit. Sie ist nicht machbar. Die Lebenserwartung kann zwar verlängert werden, aber dass am Ende der Tod wartet, daran ist nicht zu rütteln. Und noch etwas: Sie stellt unsere schönen Werte wie Fleiß, Erfolg oder Arbeit radikal in Frage. Werte, auf denen immerhin der Kapitalismus basiert. Deshalb wurden schon allerlei Anstrengungen unternommen, den Tod verschwinden zu lassen: durch seine Industrialisierung und Institutionalisierung zum Beispiel. Aber für ganz Hartnäckige bleibt er eben sichtbar, der Tod, und das Altern ist eine mahnende Erinnerung daran, dass jeder und jedem von uns irgendwann das letzte Stündlein schlagen wird. Deswegen hat also das Altern zu verschwinden.

"Jung sein": Keine Frage des biologischen Alters
Nun ist dies keine ganz einfache Sache. Kosmetik- und Modeindustrie arbeiten zwar schon seit längerem daran, erfolgreich, wie es scheint: "Mutter schärfer als die Tochter", titelte letzthin eine Illustrierte. Die Attribute "jung", "schön", "begehrenswert" scheinen nicht mehr ans biologische Alter gekoppelt zu sein. Mode, Lebensstile, Hobbys sind austauschbar und nicht mehr an ein biologisches Lebensalter geknüpft. Mit Verlaub: Ich habe ja nichts dagegen, dass nun auch Männer in meinem Alter in lässigen Jeans gehen, aber dass sie sich auch, wie die Jugendlichen, die gesamte Körperbehaarung abrasieren, finde ich dann doch übertrieben.

Aktiv und fit: Arbeiten bis zur Bahre
ODER
Aktiv und fit: Sozialverträgliches Frühableben
Außer dem Umstand, dass uns das Altern an die Sterblichkeit erinnert, gibt es aber auch noch einen anderen, banaleren Grund, warum es zu verschwinden hat: das Pensionssystem. Es ist zu teuer, wie allerorts zu vernehmen ist. Also müssen die Leute länger arbeiten. Ihnen das aufzuzwingen, würde wohl eine kleine Revolution auslösen. Also muss man sie dazu bringen, es zu wollen. Freiwillig. Dazu wird das Idealbild der "neuen Alten" geschaffen: Aktiv und fit (es wird ja nicht einmal mehr das Wort "rüstig" benutzt), erfolgreich und zufrieden arbeiten sie bis zur Bahre.

Keine Zeit vergeuden
Nur: Was passiert mit jenen, die nicht in dieses Bild passen? Die krank sind, müde, ausgelaugt? Oder die einer sozialen Schicht angehören, an deren Realitäten das Konzept des "Lebenslangen Lernens" vorbeigeht, da sie den Einstieg ins Bildungssystem von vornherein verpasst haben? Denen schon frühzeitig die Tür vor der Nase zugeschlagen wurde? Oder diejenigen, die froh sind, endlich Zeit zum Nachdenken zu haben: Über das Leben, das Sterben, die gemütlich Abschied nehmen und den Lebensabend (wird dieses schöne Wort dann auch verschwinden) genießen? In der Sprache der Technokratie wäre das: die ihre letzten Jahre nutzlos vergeuden, die kostbare letzte Zeit verschenken, sie ungenützt verstreichen lassen.

"Sich nur nicht gehen lassen!" ist die Devise. Das Alter will geplant und gestaltet sein und Geschäftigkeit soll ablenken vom Unvermeidlichen: der Sterblichkeit. Nicht einmal mehr die Alten sollen an sie denken. Und wenn, dann ohne Traurigkeit und Wehmut, denn für diese ist in einem solchen System der Tüchtigen kein Platz. Wenn schon Trauer, dann gleich kategorisiert und im Doppelpack mit der Handlungsanweisung, die dagegen hilft. Wie wäre es mit Seminaren wie "Aktiv Sterben" oder "Die Chance des letzten Atemzugs"?

Misstrauen ist geboten
Um mögliche Missverständnisse zu vermeiden: Natürlich denke ich, dass es ein Bildungsangebot für ältere Menschen (auf wen auch immer diese Definition zutrifft) geben soll. Nur ist - wie immer - Misstrauen geboten: Zu schnell werden Angebote zu Anforderungen und dann zu Normen. Und eh man oder frau sich versieht, sind aus den vielen schönen Kurs-Angeboten Verpflichtungen geworden, die aus SeniorInnen dieselben stressgeplagten TagesmanagerInnen zu machen drohen, wie unsere Kindergartenkinder: Von einem Kurs in den nächsten, und nur keine Talente brach liegen lassen. Hier treffen sich dann wieder die Generationen. Der Verdacht, dass es einfach keine Lebensabschnitte mit Freiräumen mehr geben darf, mit Muße oder gar mit Langeweile, drängt sich auf. Das Alter könnte eine Zeit sein, in der es den Luxus des Nachsinnens und der Reflexion über das Leben gibt, oder auch des Nichtstuns. Verteidigen wir es als unser Recht! Damit es auch weiterhin möglich ist, als Greisin oder als Greis auf einer Parkbank die Sonnenstrahlen zu genießen - ohne iPad, Hörbuch oder Sprachkurs.


Mag.a Bernadette Konzett
studierte Politikwissenschaft mit den Schwerpunkten Politische Theorie und Gender Studies in Innsbruck und Berlin und absolvierte den Lehrgang universitären Charakters "Alphabetisierung und Basisbildung" am Bundesinstitut für Erwachsenenbildung (bifeb). Seit 2008 ist sie in der Erwachsenenbildung tätig, seit 2010 am JUBIZ (Jugendbildungszentrum für jugendliche MigrantInnen) an der VHS Ottakring.

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