Lernen und Bildung erhöhen die Lebensqualität im Alter

25.05.2011, Text: Reinhard Lechner u. Wilfried Hackl, Redaktion/CONEDU
Dagmar Heidecker (bifeb) im Interview: "Individuelles und gesellschaftliches Altern verlangen nach Konzepten der Erwachsenenbildung".
Die kommende Ausgabe 13 des "Magazin erwachsenenbildung.at" wird sich mit der Frage nach dem Beitrag der Erwachsenenbildung für aktives Altern beschäftigen. Dagmar Heidecker, Expertin für Bildung und Alter und Leiterin des Geschäftsfeldes "Gesellschaft und Bildung" am Bundesinstitut für Erwachsenenbildung gestaltet die Ausgabe als Gastherausgeberin mit. In einem ausführlichen Interview vorab erläutert sie ihren Zugang zum Thema und die damit verbundenen Anliegen.

Die Redaktion des Magazins erhielt auf den Call für "Erwachsenenbildung als Faktor aktiven Alterns" überdurchschnittlich viele Einreichungen. Wie erklären Sie sich das große Interesse am Thema?
In Österreich sind heute mehr als 1,9 Millionen Menschen älter als 60 Jahre, das sind ca. 23% der Bevölkerung. Der Anteil der älteren Menschen wird in den nächsten Jahren auch noch weiter zunehmen, die Altersgruppe der über 75jährigen wird massiv wachsen. Die nachberufliche Lebensphase umfasst  heute eine Zeitspanne von mehr als zwanzig Jahren. Ob und wie die Lebensphase Alter selbstbestimmt, bei guter Gesundheit und sozial abgesichert gestaltet werden und die Chancen genutzt werden können, ist auch eine Frage der Bildungschancen im Laufe des Lebens.

Der demografische Wandel zeichnet sich schon lange ab und wirkt sich auf viele Bereiche der Gesellschaft und des Arbeitslebens aus. Die sozialpolitischen Debatten um Pensionsantrittsalter und Pensionsreform oder um die Employability älterer ArbeitnehmerInnen haben sicher das Interesse an der Zielgruppe befördert. So wird 2012 von der EU-Kommission ein Europäisches Jahr für aktives Altern ausgerufen. Auch hat sich in den letzten Jahren ein Markt aufgetan, sowohl für die Wissenschaft als auch für die Praxis: Forschungsaufträge werden vergeben, die Zielgruppe der "zahlungskräftigen" aktiven SeniorInnen tritt nicht nur bei Konsumartikeln und Reisen ins Blickfeld, sie wird auch ein lukratives Wirkungsfeld für TrainerInnen und Weiterbildungsanbieter.

Schon seit Anfang der 1970er Jahre ist die Bildung älterer Menschen ein Thema am bifeb), wo Sie selbst seit über drei Jahrzehnten tätig sind. Wie hat sich die thematische Auseinandersetzung in dieser Zeit entwickelt und verändert?
Ein erster Schritt war, MultiplikatorInnen auszubilden. Sie sollten ältere Menschen bei einer selbstbestimmten Lebensgestaltung unterstützen. Ich durfte damals gemeinsam mit zwei Pionierinnen arbeiten - mit Dr. Erika Horn, die den ganzheitlichen Blick auf das Alter schärfte und mit Dr. Jutta Rett, die Alternsprozesse verständlich machte. Beide haben meinen Zugang zum Thema wesentlich beeinflusst. Ein erster Lehrgang zum Thema, "Älterwerden - ein Problem?", startete 1976 und war neuartig in seinem interdisziplinären Zugang, der Verknüpfung von Theorie und Praxis und der Vernetzung von verschiedenen Praxisfeldern. Teil nahmen MitarbeiterInnen aus Bildungseinrichtungen, der Altenarbeit oder aus der öffentlichen Verwaltung, aber auch Menschen auf der Suche nach einer sinnvollen Betätigung in der Pension. Acht Lehrgänge mit insgesamt ca. 200 AbsolventInnen fanden bis 2002 statt.

Daneben entstanden seit den 1980er Jahren Aus- und Weiterbildungsangebote zur Aktivierung älterer Menschen wie Seniorentanz, Gedächtnistraining, Schreibwerkstätten, Biografiearbeit, therapeutisches Puppenspiel und Theater, intergenerationelles Lernen und vieles mehr. Heuer ist die Nutzung von Web 2.0 als Thema geplant. Mit den Workshops "Altern-Bildung-Lernen" und seit 2004 "Bildungschancen-Lebenschancen für ältere Menschen" - in Kooperation mit dem BMASK - werden die neuesten Forschungsergebnisse zu Bildung im Alter vorgestellt. Seit 2009 gibt es mit einem eigenen Workshop einen Blick auf die Situation älterer Frauen, die im Alter nochmals eine andere Lebenssituation vorfinden.

An den Lebensabschnitt Alter werden von gesellschaftlicher Seite allerlei Erwartungen gestellt, manche KommentatorInnen sehen aber im Aufruf zum aktiven Altern eine Verleugnung des Alterns. Was bedeutet "Aktives Altern" für Sie und wohin soll es führen?
Gesellschaftliche Entwicklungen und neue Technologien verändern unser Leben tiefgreifend. "Aktives Altern" meint eine selbstbestimmte, selbständige Lebensführung und Teilnahme und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bis zuletzt. Dazu braucht es Wissen - beim Individuum, in der Öffentlichkeit, in der Politik - um Alter(n)sprozesse und Lebenssituationen, um Teilhabechancen und Rahmenbedingungen. Wir alle werden älter und vielleicht auch ganz alt, wir sind aber auch vom Älterwerden der anderen betroffen. Es geht um einen adäquaten Umgang mit dem Altern und der Endlichkeit des Lebens. Ähnlich dem Gender Mainstreaming wäre ein "Ageing Mainstreaming" gefragt.

Vor welchen Aufgaben steht dann eine Erwachsenenbildung für Ältere?
Eine wichtige Aufgabe der Erwachsenenbildung ist, das Alter als eigene Lebensphase mit spezifischen Herausforderungen, Chancen und Perspektiven im öffentlichen Bewusstsein zu verankern. Es gibt auch nicht "die" Zielgruppe der Älteren: Lebensgeschichte, Bildungsmöglichkeiten, Gesundheit, materielle Situation, Beziehungen oder Religion wirken sich auf das Leben im Alter aus. Ältere Menschen haben wie alle Erwachsenen unterschiedliche Lebensstile, Interessen und Bedürfnisse. Für Erwachsenenbildung gilt es, genau hinzuschauen und eine differenzierte Sichtweise zu entwickeln. Dringend benötigt Erwachsenenbildung auch neue Möglichkeiten, um Ältere anzusprechen, die von gängigen Angeboten und (Werbe-)Maßnahmen nicht erreicht werden.

Was sind Ihre persönlichen Anliegen an Erwachsenenbildung, besonders bezüglich des Lernens Älterer?
Lernen und Bildung sind mehr als Unterhaltung und Zeitvertreib für ältere Menschen. Sie sind notwendig um sich in der Welt zurechtzufinden und sie mitzugestalten. Ein Nichtteilhaben kann ganz schnell ins Abseits führen, z.B. ein Handy oder das Internet nicht benutzen zu können, um ein ganz einfaches Beispiel zu nennen. In meiner Arbeit zu Bildung und Alter/n geht es mir um drei Ziele: Erstens, für das Thema Alter/n zu sensibilisieren, es als Querschnittsthema ins Gespräch und in die Diskussion um das Lebenslange Lernen zu bringen. Zweitens wollen wir gerontologisches Grundwissen und Handwerkszeug für eine gelungene Bildungsarbeit mit älteren Menschen vermitteln, wie etwa für die Entwicklung von Angeboten, für die methodisch-didaktische Gestaltung von Lernen, für Qualitätsentwicklung und Öffentlichkeitsarbeit. Und nicht zuletzt will das bifeb) hier eine Plattform bieten für die Begegnung von Theorie und Praxis und eine berufsübergreifende Vernetzung.

Welchen Beitrag glauben Sie wird die kommende Ausgabe des "Magazin erwachsenenbildung.at" dazu leisten können?
Ich hoffe, dass diese Ausgabe den Blick für die vielfältigen Handlungsfelder von Erwachsenenbildung als Faktor des aktiven Alterns schärft und einen richtungsweisenden Beitrag für lebenslanges Lernen darstellt. Als Mitherausgeberin ist es mir ein großes Anliegen, die Bandbreite, die das Thema bietet, aufzuzeigen und damit Handlungsfelder zu eröffnen: vom Argumentieren, dass Bildung bis ins und im Alter notwendig ist, über Teilhabe am Lernen in der nachberuflichen Lebensphase bis hin zur Wirkung von Altersbildern, didaktischen Prinzipien und Beispielen aus der Praxis.

Oberrätin Mag.a Dagmar Heidecker
studierte Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Innsbruck. 1974 kam sie als Pädagogische Mitarbeiterin an das neu gegründete Bundesinstitut für Erwachsenenbildung Strobl/St. Wolfgang. Heute ist sie Leiterin des Geschäftsfeldes Gesellschaft und Bildung am bifeb) und Redakteurin von "bifeb) aktuell". Für ihr langjähriges Engagement in der Erwachsenenbildung wurde ihr heuer das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich verliehen.
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