Bildung schützt vor Armut (nicht)!

09.05.2011, Text: Barbara Kreilinger, VÖV
Armut als Herausforderung für die Erwachsenenbildung - diesem Thema stellten sich ExpertInnen und Gäste während der Tagung "Armut und Bildung".
Bildung schützt vor Armut (nicht) - Diese Herausforderung, die sich auch dem Erwachsenenbildungsbereich stellt, wurde im Herbst 2010 auf der Tagung „Armut und Bildung“ aus unterschiedlichen Perspektiven diskutiert. Der nun vorliegende Dokumentationsband fasst die Ergebnisse zusammen.

Erwachsenenbildung als Angebot für soziale Teilhabe
Der Verband der Österreichischen Volkshochschulen und das Forum Katholischer Erwachsenenbildung beleuchteten mit ExpertInnen aus den Bereichen Wissenschaft, Menschenrechte, Wirtschaft sowie der Armutskonferenz und mit PraktikerInnen unterschiedlichste Aspekte des Themas. Im Folgenden werden die wichtigsten Punkte zusammengefasst.

» Bildung ist zwar nicht die unmittelbarer Ursache, aber ein Faktor für Armut
Dies wirkt sich in einem deutlich höheren Arbeitslosenrisiko für Personen mit niedrigen Bildungsabschlüssen aus. Die österreichische Erstausbildung stellt Chancengleichheit nicht her. Dies hat auch Auswirkungen auf die Weiterbildung. So nehmen Personen mit Pflichtschulabschluss bedeutend weniger Fortbildung in Anspruch, als Personen mit höheren Ausbildungen.

» Bildung als Menschenrecht gilt auch für die Erwachsenenbildung
Eine der vier Grundfreiheiten in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist Bildung. Das Recht auf Bildung stellt eine Grundvoraussetzung für die Erreichung weiterer Menschenrechte dar, z.B. das Recht auf Gesundheit. Es wird als Empowermentrecht definiert und gilt als ein Mittel, um sich aus Armut selbst befreien zu können.

» Ausschluss ist wirtschaftlich relevant
Essentiell wird der gesellschaftliche Ausschluss auch im wirtschaftlichen Sinne, wenn Personen vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden bzw. sich die Einkommenssituation nach unten verändert. Personen, die arbeitsmarktpolitisch ausgeschlossen werden bzw. über ein geringes Einkommen verfügen, haben schon alleine aus finanziellen Gründen Schwierigkeiten, den Weg in die Erwachsenenbildung zu finden.

Vorschläge zur Veränderung
Aus den Diskussionen und Workshops der Tagung entwickelten sich folgende Vorschläge für Institutionen der Erwachsenenbildung:

» 1.Gestaltung von Erwachsenenbildungsangeboten
Der wichtigste und auf der Tagung mehrmals diskutierte Vorschlag zielt auf die Mitgestaltung von Erwachsenenbildungsangeboten durch armutsbetroffene Personen. Die Erfahrung zeigt, dass erfolgreiche Projekte immer in Kooperationen entwickelt werden (z.B. Kulturpass). Werden Bildungsangebote gemeinsam mit oder sogar von armutsbetroffenen Personen entwickelt, so ist eher sichergestellt, dass diese auch tatsächlich davon profitieren und Angebote nicht an ihnen vorbei entwickelt werden. Solange wir glauben, es besser zu wissen, was eine Personengruppe braucht oder tun sollte, werden wir sie auch nicht erreichen.

» 2.Einbringen in die Verteilungsdebatte
Die Erwachsenenbildung ist aufgefordert, sich in die Verteilungsdebatte einzubringen. Die Konferenz der Erwachsenenbildung in Österreich (KEBÖ) ist dafür das geeignete Forum. Bei der Verteilungsdebatte stellt sich nicht nur die Frage gerechter Einkommen und Vermögen, sondern auch die Teilhabe am kulturellen und sozialen Leben.

» 3.Menschenrecht „Bildung“
Die Erwachsenenbildung kann das Menschenrecht auf Bildung politisch einfordern. In den eigenen Strukturen ist es notwendig, das Empowermentrecht in Entscheidungen grundzulegen und immer wieder zu überprüfen.

» 4.Kostenpflichtige Angebote
Im Gegensatz zu anderen Bildungsbereichen (z.B. Pflichtschule) sind Angebote der Erwachsenenbildung kostenpflichtig. Dies gilt es in der Öffentlichkeit zu thematisieren und Möglichkeiten zu schaffen, um diese Barriere möglichst gering zu halten (z.B. Aktivpass der Stadt Linz).

» 5.Zusammenarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen
Da von politischer Seite wenig für die Armutsbekämpfung getan wird, ist eine breite Verknüpfung zivilgesellschaftlicher Organisationen notwendig. Institutionen der Erwachsenenbildung können Mitglied des Anti-Poverty-Netzwerkes sowie der Armutskonferenz werden.

Forderungen
Die Tagung „Armut und Bildung" wurde mit dem Theaterstück „Kein Kies zum Kurven Kratzen_reloaded“ des Forumtheaters InterACT abgeschlossen. Im Anschluss daran wurden vom Publikum u.a. folgende Forderungen gestellt:

  • Einfordern der Verantwortung von PolitikerInnen für ihren Aufgabenbereich durch BürgerInnen
  • soziale Umverteilung durch Steuergerechtigkeit
  • keine Schuldzuweisungen seitens der Politik und Öffentlichkeit – Armut ist unfreiwillig
  • ausreichendes Grundeinkommen für alle
  • SchuldnerInnen entlasten/entschulden
  • gemeinsame Schule zumindest bis zur 6. Schulstufe
  • Bewusstsein für Armutsproblematik in der Öffentlichkeit schaffen
  • eine gerechtere Vermögensumverteilung
  • Mitsprache von Arbeitslosenvertretungen in der Regierung
  • Aufklärung gutsituierter Personengruppen über die Lebenslagen von armutsbetroffenen Menschen
  • Einkommens- und Vermögenstransparenz
  • Löhne, die zum Leben reichen
  • würdige Beratung und Unterstützung bei Ämtern und Behörden
  • Recht auf Erwerbsarbeit

Abschließende Bemerkungen
„Armut“ als mehrdimensionales Phänomen zu verstehen und sowohl aus demokratiepolitischer als auch aus bildungspolitischer Sicht Ansätze der Veränderung zu finden, ist eine Herausforderung, die bei dieser Veranstaltung Personen aus unterschiedlichsten Bereichen annahmen. Um der Mehrdimensionalität des Phänomens gerecht zu werden, bedarf es unterschiedlicher vernetzter Maßnahmen, darin sind sich die Expert/innen der Tagung einig. Der Zugang zu Erwachsenenbildung kann als eine Möglichkeit gesehen werden, Bildung alleine stellt aber kein Wundermittel gegen Armut dar.

Für die Erwachsenenbildung stellt sich die Frage, wie VerantwortungsträgerInnen die Herausforderung, Verwirklichungschancen von armutsbetroffenen Personen zu stärken, wahrnehmen können. Eine zentrale Möglichkeit ist die Beteiligung betroffener Personengruppen an der Entwicklung und Durchführung von Bildungsangeboten: AkteurIn in der Gestaltung von Bildungsprozessen und Entwicklung von Angeboten zu sein, führt zu einer Verschiebung der Machtverhältnisse und zu der Frage, wie (materielle) Ressourcen verteilt und eingesetzt werden. Durch diesen Ansatz wird es für armutsbetroffene Personen möglich, sich in die Erwachsenenbildung zu inkludieren.

Die Tagung wurde aus Mitteln des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz gefördert.
Weitere Informationen: