Übergänge meistern – ein Auftrag an die Erwachsenenbildung

17.10.2018, Text: Philipp Wurm, Redaktion: Redaktion/CONEDU
Der Bildungswissenschaftler Rudolf Egger geht auf die Rolle der Erwachsenenbildung in der Bewältigung von biographischen Übergängen ein. (Serie: Generationen in der Erwachsenenbildung)
„Die Rolle der Erwachsenenbildung ist und bleibt es, Menschen dabei zu unterstützen, Autonomie und Selbstbestimmung jenseits verhärteter Alltags- und Arbeitsstrukturen zu entwickeln und zu erleben.“
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Die unterschiedlichen Lebensphasen, die ein Mensch durchläuft, gehen häufig mit ihnen typischen Herausforderungen einher. Auf der individuellen Ebene können diese Erfahrungen jedoch sehr unterschiedliche Lernbedürfnisse erzeugen, die stark mit der jeweiligen Biografie und Lebenssituation zusammenhängen. Welcher Auftrag, welche Herausforderungen ergeben sich nun daraus für die Erwachsenenbildung und mit welchen Angeboten kann sie diesen entsprechen? Mit diesen Fragen haben wir uns an Rudolf Egger, Professor für empirische Lernweltforschung und Hochschuldidaktik und Leiter des Zentrums für Lehrkompetenz an der Universität Graz, gewandt.

 

Philipp Wurm: Wie hängen Lebensphasen mit individuellen Biographien zusammen?

Rudolf Egger: Wenn von Lebensphasen gesprochen wird, ist das ja vorwiegend ein chronologischer Aspekt. Aber die Zeitdimension ist nur eine sehr allgemeine Bestimmung dessen, was wir als unser Leben verstehen. Es ist schon so, dass eine biologische Uhr und auch eine gesellschaftliche Norm uns bestimmte Entwicklungspfade in spezifischen Lebensphasen quasi vorgeben. Unsere subjektive und auch die soziale Wirklichkeit ist aber, im Sinne des Gestaltens einer „eigenen Biographie", stets spezifischen individuellen und gesellschaftlichen Kontexten verbunden.

 

Was bedeutet das fürs lebenslange Lernen?

Das heißt, dass die „Normalbiographie" (das, was von uns erwartet wird) zwar beständig auf uns einwirkt, dass aber andererseits die subjektive Konstruktionslogik viele Wege und Ziele hier entstehen lässt. Erst diese Perspektive macht es ja möglich, dass wir überhaupt von lebenslangem Lernen (in Abgrenzung zu lebenslanger Adaption) sprechen können. Dahinter wiederum stehen Entwicklungen, die wir als „Individualisierung" oder „reflexive Modernisierung" bezeichnen, die die Bindungen an soziale Milieus oder klassische Mentalitäten aufgeweicht haben. Allein schon dadurch entsteht ein enormer Lernbedarf, der uns als Akteurinnen und Akteure fordert.

 

Wie äußert sich dieser Lernbedarf?

In den Bildungsprogrammen der Erwachsenenbildungsinstitutionen, in den sozialen Foren oder in den vielen anderen informellen Gruppierungen lassen sich diese Such- und Lernbewegungen deutlich wiederfinden. Gleichzeitig wurden in den formalen Bezügen, am Arbeitsmarkt, die Qualifikations- und Bildungsanforderungen immer dramatischer an ökonomischen Verwertungsinteressen gekoppelt. Wenn Menschen sich heute also in Weiterbildung begeben, dann sind die hier nur grob skizzierten Entwicklungen die dominierenden Rahmungen.

 

Welche Herausforderungen ergeben sich daraus für die Erwachsenenbildung?

Wenn wir uns ansehen, in welchen Lebensphasen, an welchen biographischen Übergängen Menschen typischerweise Erwachsenenbildung beziehungsweise Erwachsenenbildungsangebote brauchen oder diese in Anspruch nehmen, dann ist vor diesem Hintergrund die Verbindung von formalem, nicht-formalem und informellem Lernen hervorzuheben. Damit tun sich die klassischen Bildungsinstitutionen derzeit noch schwer. Aber es gilt einzusehen, dass lebensbegleitende Lernprozesse eben nur zum kleinen Teil in pädagogischen Institutionen und in formalisierten Settings stattfinden. Abgesehen einmal von den weiterhin bestehenden sozioökonomischen Ungleichheiten in der Grundausbildung verlaufen Lern- und Bildungsprozesse nicht mehr bedingungslos linear und institutionell angelegt, sondern immer stärker auch patchworkartig und sowohl organisatorisch als auch medial flexibler. Dennoch lassen sich viele, aber doch recht unterschiedliche fragile Statuspassagen finden, in denen typischerweise Erwachsenenbildungsangebote in Anspruch genommen werden.

 

Welche Angebote werden also konkret gebraucht?

Dies sind z. B. das Nachholen von Bildungsabschlüssen und die Grundbildung allgemein, die Erweiterung der berufsrelevanten Qualifikationen, aber auch die klassischen Formen der Bildung und Persönlichkeitsentwicklung, die durch implizite biographische Such- und Lernbewegungen angestoßen werden. Neben den Verwertbarkeitsabsichten sind es auch diese subjektiven Lernprozesse, die zur Gestaltung von alltäglichen und lebensgeschichtlichen Erfahrungen, Übergängen und Anforderungen dienen. Es werden also vor allem Angebote gebraucht, die sowohl die kompetenz-, qualifikationsorientierte Dimensionen, als auch biographisches Lernen, das in den unmittelbaren Lebens- und Lernwelten eingebunden sind, notwendig sein. Hier sollten die klassischen Erwachsenenbildungsinstitutionen ihre Möglichkeiten im Sinne der Etablierung von Anschlussstrukturen, sozialer Netze und kollektiver Prozesse (z. B. in der Zusammenarbeit mit den bestehenden Vereinen, Initiativen usw.) erweitern.

 

Was lässt sich also zusammenfassend festhalten?

So einfach die Frage eingangs auch gestellt zu sein scheint, so komplex ist sie aus einer gesellschaftlichen und einer biographischen Perspektive zu beantworten. Die Themen der Erwachsenenbildung hier einfach aufzuzählen, ist aus meiner Sicht müßig und sehr von den jeweiligen Motiven und Ausgangslagen der Bildungsinstitutionen getragen. Viel wesentlicher scheint mir, dass Bildungsinstitutionen, egal welcher Ausrichtung, den zunehmend bedrohlicheren Statuspassagen und Übergängen in den aktuellen Lebensläufen mit ihrem Angebot flexibel entgegenkommen. Egal um welche Themen es sich dabei handelt: Die Rolle der Erwachsenenbildung ist und bleibt es, Menschen dabei zu unterstützen, Autonomie und Selbstbestimmung jenseits verhärteter Alltags- und Arbeitsstrukturen zu entwickeln und zu erleben. Dies sollte auch in der Umstrukturierung der Bildungsinstitutionen in der digitalen Welt nie vergessen werden.

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