Speed-Dating für Generationensolidarität

09.05.2018, Text: Martina Platter und Alexandra Meyer, Katholisches Bildungswerk Steiermark, Redaktion: Redaktion/CONEDU
Generationenprojekte schaffen Begegnungsmöglichkeiten zwischen Alt und Jung. Wie sie gelingen, zeigen Beispiele aus der Praxis. (Serie: Generationen in der Erwachsenenbildung)
Bei TIK-Tabletkursen lernt Alt von Jung den Umgang mit der neuen Technik
Foto: Alle Rechte vorbehalten, Tanja Gassler
„Sind wir hier bei der Partnerbörse?", lautete die Frage einer älteren Teilnehmerin. Jein. Nicht das traditionelle Suchen und Finden von Lebenspartner/innen stand im Vordergrund einer intergenerationellen Veranstaltung des Katholischen Bildungswerks Steiermark. Beim Speed-Dating von Alt und Jung ging es darum, sich mit Fragen über die eigene Lebenswelt kennen zu lernen. „Welche Musik hast du mit 16 gehört bzw. welche hörst Du mit 16? Was ist Deine Lieblingsspeise? Weißt Du, was ein Vierteltelefon ist? Kennst Du Tinder?" Dabei gelang ein erster Blick über die Generationenmauer und es wurde versucht, diese - wenn möglich - auch einzureißen.

 

Generationenmauer? Gab es da nicht etwas? Es gibt einen Vertrag, der physisch nicht existiert, den nicht alle kennen, den aber jede/r, ob wissentlich oder nicht unterschrieben hat: Der Generationenvertrag. Simple gesprochen ist dieser ein fiktiver „Solidar-Vertrag", der die Verteilung zwischen verschiedenen Lebensphasen - Kindheit und Jugend, Erwerbsphase und Alter - regelt.

 

Zyniker meinen, Solidarität sei die gerechte Verteilung des Elends. Wessen Zukunftsvision eine andere ist als Bandenkriege und gesellschaftliche Hegemoniekämpfe zwischen Jung und Alt, wird den Begriff der Solidarität doch im traditionellen Sinne verstehen wollen. Wer soll und kann sich mit wem solidarisieren? Wer sind diese Generationen, die man Baby-Boomer, Generationen X, Y oder Z nennt? Dirk Knipphals, Literaturredakteur der taz, schrieb: „Irgendwo da draußen muss es eine florierende Generationenmanufaktur geben. Man kann nämlich durchaus den Eindruck bekommen, dass jede Saison neue, windschnittige Generationenmodelle wie am Fließband produziert werden." Tatsächlich sehen einige Expertinnen und Experten einerseits die Auflösung der Generationen durch eine universalisierte Jugend und andererseits eine nach wie vor bestehende Suche nach – und folglich auch Konstruktion – von generationellen Unterschieden.

 

Generationentypische Unterschiede in Anschauungen, Deutungsmustern und Erfahrungen sind als Tendenzen erkenn- und messbar. Eine allgemein gültige Aussage über Individuen einer bestimmten Alterskohorte kann trotzdem nicht getroffen werden. Konservative oder traditionsbewusste Teenager sind genauso real wie liberale Rock-Opas und Hippie-Omas - allen Klischees über Jugend und Alter zum Trotz. Neben dem Druck sich alterskonform zu verhalten und der allgegenwärtigen Altersfeindlichkeit existiert es, das Individuum, das neugierig auf sich selbst ist und sich bewusst oder unbewusst fragt, was das authentisch Eigene ist und wie es zum Ausdruck gebracht werden könnte.

 

Die Grenzen zwischen den Generationen verwischen und gleichzeitig finden Interaktionen zwischen Jung und Alt außerhalb der Familie, und vermehrt auch innerhalb dieser, kaum statt. Eine Segregation der Generationen ist beobachtbar. Einen Gegenentwurf zur Entfremdung liefern intergenerationelle Projekte, die Begegnungen zwischen verschiedenen Altersgruppen ermöglichen. Drei Dimensionen stehen dabei im Vordergrund: Voneinander, übereinander und miteinander Lernen. Immer geht es darum, Verstehensgrenzen zu überwinden, gemeinsam aktiv zu werden und Erfahrungs- und Erzählräume zu teilen, um Altersstereotype aufzubrechen und aus dem Wir-gefühl einer Generation ein intergenerationelles Wir entstehen zu lassen. Damit dies gut gelingt, braucht es qualifizierte Referentinnen/Referenten und Organisatorinnen/Organisatoren, die mit spezieller Methodik und Didaktik Begegnungsmöglichkeiten für Alt und Jung schaffen.

 

Im didaktischen und methodischen Modell meint „voneinander Lernen" die Vermittlung von Erfahrungen und Fertigkeiten, welche entweder die ältere oder die jüngere Generation hat. Ein Beispiel ist das Projekt TIK- Technik in Kürze. In den Tabletkursen für Seniorinnen und Senioren geben junge Trainer/innen ihr Wissen rund um die neue Technik weiter. Hier hört man Worte wie „Tablet", „WLAN", „Browser" aus dem Mund von Siebzigjährigen. Andersrum geschah es im Projekt „Junges Design trifft altes Handwerk". Jugendliche wollten Stofftaschen im eigenen Design nähen. Aber was tun, wenn niemand den Umgang mit der Nähmaschine beherrscht? Seniorinnen halfen aus und so entstanden in einem Generationenworkshop stylische Taschen.

 

Beim Miteinander Lernen kommt der Impuls oder das Wissen von außen oder wird gemeinsam erarbeitet. Bei intergenerationellen Poetry Slams begeistern Teilnehmende zwischen 10 und 75 Jahren das Publikum mit Wortakrobatik und Sprachgymnastik. Es werden Einzel- und Gemeinschaftstexte vorgetragen. Vor dem Auftritt absolvieren die Teilnehmenden mit einem intergenerationellen Referentinnen-Team Workshops, in denen an Text, Performance und Ausdruck auf der Bühne gearbeitet wird. Die Generationen unterstützen sich gegenseitig und es passiert ein intensiver Austausch zur eigenen Lebenswelt. Das intergenerationelle „Wir-Gefühl" wird durch die spezielle Art des öffentlichen Auftritts in besonderer Art gestärkt.

 

In Projekten, die die Dimension des Übereinander Lernens in der Vordergrund rücken, werden generationenspezifische Unterschiede und Ähnlichkeiten thematisiert. Unter dem Titel „Schule einst und jetzt" besuchten (Ur-)Großeltern, pensionierte Lehrer/innen eine Volksschulklasse. Die Kinder hörten erstmals von „Rohrstaberln" und vom Scheitelknien, aber auch von langen und lustigen Schulwegen zu Fuß. Ein Stationenbetrieb brachte praktische Einblicke in die Schule von gestern und heute. Welche Spiele werden und wurden in der Pause gespielt? Wie schreibt man seinen Namen in Kurrentschrift und wie in der heutigen Schreibschrift? Welche Jause gibt und gab es?

 

Es muss nicht immer „Speed-Dating" sein, um Begegnungen zwischen Generationen zu schaffen. Den Formaten und Themen sind keine Grenzen gesetzt, außer jene, die die Generationen selbst – im gegenseitigen Einverständnis und gemeinsam – ziehen. Aus Solidarität.

 

Serie: Generationen in der Erwachsenenbildung

Als Trendbegriff der Weiterbildung wird "Generation" oft verwendet, um verschiedenen Alterskohorten bestimmte Verhaltensmuster und Wesensmerkmale zuzuschreiben. Was steht hinter plakativen Begriffen wie "Generation X/Y/Z", "Millennials" oder "Silver Surfers"? Welche Unterschiede lassen sich zwischen Jüngeren und Älteren festmachen, in dem, wie sie leben, arbeiten und lernen bzw. sich bilden (möchten)? Wie können Angehörige verschiedener Generationen, aber auch Menschen aus unterschiedlichen sozialen Hintergründen sinnvoll voneinander, miteinander und übereinander lernen? Die Serie "Generationen in der Erwachsenenbildung" bündelt Reflexionen zum Konzept der Generationen, aber auch Beispiele guter Praxis und wirft damit einen multiperspektivischen Blick auf den Trendbegriff der Generationen. Alle bisher zur Serie #ebgen erschienenen Beiträge finden Sie hier.

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