Schweizer Weiterbildungsgesetz soll Grundkompetenzen fördern
Weiterbildung liegt in der Hand jedes Einzelnen
Generell ist im Gesetz durchgehend von "Weiterbildung" die Rede. Das Gesetz definiert Weiterbildung als strukturierte Bildung außerhalb der formalen Bildung und beschreibt das Feld somit insbesondere in Abgrenzung zu anderen Bildungsbereichen ohne das Feld inhaltlich zu definieren oder zwischen beruflicher und allgemeiner Bildung zu unterscheiden. Die Verantwortung für Weiterbildung liegt dabei bei jedem Einzelnen. "Die Einzelnen können auf dieser Basis keinen Anspruch auf Förderung erheben. In Bereichen, in denen die Eigenverantwortung nicht übernommen wird, fördert die öffentliche Hand aber weiterhin in subsidiärer Form." berichtet Irena Sgier, stellvertretende Direktorin des Schweizerischen Verbandes für Weiterbildung (SVEB).
Qualitätssicherung als Aufgabe von Anbietern, Bund und Kantonen
Die Verantwortung für Qualität sieht der Bund weiterhin bei den Anbietern von Weiterbildung. Bund und Kantone sollen aber Maßnahmen zur Qualitätssicherung unterstützen, auch um Transparenz und Vergleichbarkeit zu schaffen. "Dies bezieht sich allerdings nur auf die öffentlich geförderte Weiterbildung, was in der Schweiz einen kleinen Teil ausmacht (ca. 20% der Angebote). Die Verpflichtung wird außerdem nicht überall wahrgenommen, wie sich aktuell im Fall der Vorbereitungskurse für die Höhere Berufsbildung zeigt", so Sgier.
Das Gesetz sieht vor, dass Bund und Kantone die Qualität bei öffentlich geförderter Weiterbildung in vier Bereichen sicherstellt: bei der Information über die Angebote, bei der Qualifikation der ErwachsenenbildnerInnen, in den Lernprogrammen und in den Qualifikationsverfahren. Dies sieht Sgier durchaus positiv: "Vor der Einführung des Weiterbildungsgesetzes wurde weniger klar gesehen, dass Qualität z.B. auch die Information betrifft."
Förderung transparenter Verfahren bei der Anrechnung von Bildungsleistungen
Bund und Kantone sollen laut Gesetz für transparente Verfahren bei der Anrechenbarkeit von nonformal und informell erworbener Kompetenzen sorgen. Ansätze dazu gab es bereits vor dem Gesetz: "Es gibt bereits einen nationalen Leitfaden zur Validierung von Bildungsleistungen in der Grundbildung, der sich zurzeit in Überarbeitung befindet. Weitere Instrumente stellt der Bund meines Wissens nicht bereit. Einzelne Kantone und Organisationen der Arbeitswelt sind aber daran, die Validierung weiterzuentwickeln.", so Sgier.
Förderung von Grundkompetenzen als Ziel von Bund und Kantonen
Neben dem Grundsatz der Chancengleichheit enthält das Gesetz auch einen eigenen Abschnitt zur Förderung von Grundkompetenzen Erwachsener. Als Grundkompetenzen legt das Gesetz Lesen, Schreiben, Sprechen in einer Landessprache, Grundkenntnisse in Mathematik und die Fähigkeit IKT anzuwenden fest. Bund und Kantone sollen sich gemeinsam dafür einsetzen, Erwachsenen den Erwerb und den Erhalt von Grundkompetenzen zu ermöglichen. Dies sieht auch Irena Sgier als Meilenstein: "Der SVEB hat sich über viele Jahre für dieses Ziel engagiert. Dass die Förderung der Grundkompetenzen im Gesetz als sogenannter Finanztatbestand verankert ist, schafft eine völlig neue Ausgangslage für diesen Bereich. Hier sind auch bereits verschiedene Maßnahmen in Gang. Inzwischen haben 18 Kantone Förderprogramme beschlossen und teilweise mit deren Umsetzung begonnen."
Trotzdem müsse hier noch mehr passieren, Geld alleine reiche nicht: "Jetzt sind die Kantone gefordert auch die Nachfrage zu fördern. Davon ist bis jetzt noch wenig zu sehen. Auch der Bund nimmt eine passive Rolle ein und hat mit den Kantonen lediglich vage Zielsetzungen vereinbart. Nötig wäre ein wesentlich größeres Engagement auf allen Ebenen, wenn das Gesetz seine Wirkung entfalten und die Teilnehmerzahlen im Bereich Grundkompetenzen steigen sollen - was letztlich das Ziel dieser Maßnahmen sein muss."
Der Staat greift ein, wo der Markt nicht funktioniert
Erwachsenen- und Weiterbildung ist in der Schweiz überwiegend privat organisiert. Dies spiegelt auch das Weiterbildungsgesetz wider. Dort ist zu lesen, dass der Staat den marktwirtschaftlichen Wettbewerb nicht beeinträchtigen darf, außer es handelt sich um Bereiche, die von besonderem öffentlichen Interesse sind: "Der Staat soll nur dort nur eingreifen, wo der Markt nicht funktioniert, er hat also eine klar subsidiäre Rolle", fasst Irena Sgier zusammen.
Gleichzeitig bedeute das aber nicht, dass nur öffentliche Träger gefördert werden: "Auch zahlreiche private Träger haben öffentliche Leistungsaufträge für spezifische Angebote. Hinzu kommt die Zunahme subjektorientierter Finanzierungsformen insbesondere im Bereich der Höheren Berufsbildung, die ebenfalls dazu führt, dass öffentliche Gelder über den Umweg der Nachfragefinanzierung an private Anbieter fließen können." Der Wettbewerbsgrundsatz sei somit klar im Interesse der privaten Anbieter: "Im ersten Jahr seit Einführung des Gesetzes haben sich bei den öffentlichen Angeboten auch bereits Abbautendenzen gezeigt, in einzelnen Fällen in gravierendem Ausmaß."
Keine öffentlichen Förderverpflichtungen
Im Gesetz sind keine Förderverpflichtungen seitens des Bundes vorgesehen. Geregelt ist, dass der Bund unter bestimmten Bedingungen Förderungen vergeben kann. Diese Förderung soll er vor allem nachfrageorientiert zuweisen. "Bis jetzt wurden aber die bisherigen, anbieter- und angebotsorientierten Finanzierungsformen in den Kantonen noch kaum angepasst" räumt Irena Sgier ein.
Aber auch wenn das Gesetz keine Förderungsverpflichtung des Bundes festlegt, ermöglicht es dennoch vierjährige Leistungsvereinbarungen zwischen Bund und Organisationen der Weiterbildung: "Dachverbände der Weiterbildung, zu denen auch der SVEB gehört, erhalten seit 2017 keine Strukturbeiträge mehr, haben aber neu vierjährige Leistungsvereinbarungen mit klar definierten Zielen. Das verändert teilweise die Aktivitäten der Verbände und beeinflusst auch die Zusammenarbeit zwischen den Organisationen."
Schlankes Rahmengesetz oder innovative Direktive?
Als positiv sieht Irena Sgier, dass durch das Gesetz Weiterbildung als Teil des Bildungssystems wahrgenommen und auf politischer und öffentlicher Ebene sichtbar wird. Auch die Förderung der Grundkompetenzen Erwachsener und die mehrjährigen Leistungsvereinbarungen mit den Dachverbänden gilt als wichtiger Schritt in der Schweiz. Gleichzeitig gebe es aber bei Bund und Kantonen noch kaum Bestrebungen, die Grundsätze umzusetzen. Irena Sgier sieht hier noch Handlungsbedarf: "Es wird noch einiges an Engagement brauchen, damit das Gesetz seine Wirkung entfaltet. Dabei ist festzuhalten, dass das Weiterbildungsgesetz ein vorsichtiges, eher konservatives Gesetz ist, das - bis auf die Grundkompetenzen - im Wesentlichen den Status quo abbildet und kaum Ansätze für innovative Entwicklung bietet. Es wird also in den nächsten Jahren darum gehen, auf die Umsetzung der Grundsätze zu pochen und zugleich die wenigen Spielräume, die das Gesetz für innovative und zukunftsgerichtete Entwicklungen bietet, zu nutzen."
Was soll ein Fördergesetz zur Erwachsenenbildung beinhalten und wie gut entspricht das österreichische Gesetz der Erwachsenenbildung der Gegenwart? Lesen Sie hier ein Resümee mit Elke Gruber.
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