Bassena Gesang: Ein Kunstprojekt fördert gesellschaftliche Partizipation
Dieses Phänomen der Isolation und des Verharrens in einem engen gedanklichen und / oder geographischen Raum betrifft allerdings genauso Menschen, die bereits in Wien geboren wurden und / oder sich als „Einheimische" bezeichnen.
Immer mehr Menschen bewegen sich in sogenannten „Realitäts-Blasen" und lernen kaum mehr Personen kennen, die sich in anderen Lebenswelten und Milieus befinden. Wir sprechen kaum mit Menschen, die wir nicht bereits kennen, kaum mit Personen, die andere Gewohnheiten und Meinungen haben. Häufig nicht einmal mit den Menschen, die mit uns im selben Haus wohnen. Gesellschaftspolitisch halte ich das für sehr bedenklich und persönlich für sehr schade. Denn kulturelle und politische Teilhabe findet dann oft nicht statt. BASSENA GESANG möchte dazu beitragen, dass Menschen verschiedene Lebenswelten und Möglichkeiten entdecken und ihren Radius im Denken und Handeln positiv erweitern können. Es gilt, unterschiedlichste Menschen nicht nur einzuladen und zu „adressieren", sondern im höflichsten und wertschätzendsten Sinne des Wortes „abzuholen", quasi zu Hause. Denn wir alle spielen eine wichtige Rolle für eine inklusive, weltoffene Atmosphäre in unserer Stadt.
„BASSENA°GESANG - Singing out of the box"
Stiegenhäuser wurden zum Konzertsaal. Ihre Akustik und Atmosphäre ließ die alte, die neue, die lokale und die internationale Kultur Wiens erklingen – generationen- und kulturübergreifend, basisnah und stimmungsvoll. Unterschiedliche Menschen und Weltanschauungen begegneten sich „zu Hause", im semi-öffentlichen Raum des Stiegenhauses. Nicht in privaten Wohnungen, nicht an öffentlichen Plätzen – im „Dazwischen" wo sich neue Spielfelder und Möglichkeitsräume eröffnen können. Das Tratschen und Klatschen wurde neu interpretiert und initiiert und die Bassena als gesellschaftlicher Treffpunkt wiederbelebt.
Im Oktober haben zwei Stiegenhaus-Konzerte stattgefunden. Eines in einem Mietshaus mit BewohnerInnen aus sehr unterschiedlichsten Herkunftsländern, Bundesländern sowie sozialen Lebenshintergründen, das andere in einem Asyl-Haus. Die Lieder und Melodien wurden jeweils angekündigt und ihre Entstehungsgeschichte und ihr kultureller Hintergrund kurz vermittelt. Informationen zu dem international und interkulturell bekannten persischen Gelehrten und Poeten Rumi leiteten eine kleine Lesung ein, die auf der Tar (Saiteninstrument) begleitet wurde. Der musikalische Bogen spannte sich von österreichischen Volksliedern, Jodler über Popmusik, persische Weisen, die zu einer neuen Synthese von altpersischen Klängen mit Schubert-Liedern führte, sowie zu Madrigale (nicht-religiöse, mehrstimmige Gesänge aus dem 13.-15. Jahrhundert). Von afghanischen Songs und Tänzen ging es an den Abenden über Austro-Pop, Klavier- und Geigenmusik, Trommeln bis hin zu Arien und Volksliedern vom Balkan.
„Ich hatte seit langer Zeit kein solches Erlebnis mehr.
Das Gefühl dazuzugehören – zu einer Gemeinschaft
aus ganz verschiedenen Menschen und Kulturen." (Rückmeldung eines Teilnehmers)
Die Atmosphäre war jeweils sehr entspannt und doch feierlich. Das zahlreiche Publikum, bestehend aus HausbewohnerInnen, NachbarInnen und Gästen „von außerhalb", hat der Musik gelauscht und sich in den Pausen angeregt unterhalten, gemeinsam gegessen, gelacht, sogar getanzt. Einige Rückmeldungen:
„Ich lebe seit über 20 Jahren in diesem Haus, aber ich werde es nie wieder betreten können, ohne an diese Stimmung und Musik zu denken, die mich sehr berührt hat." (Bewohner)
„Das geht ans Herz und ich (es?) stimuliert Gedanken, die über das Alltägliche hinausgehen." (Bewohner)
„Beim Zuhören und beim Plaudern in den Pausen mit den anderen Menschen, die auch da waren und zugehört haben, kamen mir und uns gute Ideen – warum unterhalten wir uns sonst kaum?" (Bewohnerin)
„Ich habe einen Kuchen gebacken für die Veranstaltung, für meine NachbarInnen, und habe mich sehr gefreut, dass er allen geschmeckt hat. Ich wollte etwas beitragen können und mehr MitbewohnerInnen, die andere Sprachen sprechen, kennenlernen – mit Musik und Essen geht das gut." (Bewohnerin)
„Die Klänge meiner Heimat zu hören - und so viele Menschen klatschen mit ... Das hat mich glücklich und sehnsüchtig gemacht." (Bewohner, Asylwerber)
„Nebst der schönen Atmosphäre bei so vielen glänzenden Kinderaugen war es einfach auch ein leiwandes Konzert. Hat mir sehr getaugt." (Gast)
„Kontakt und Kommunikation statt angstgesteuerte Abgrenzung"
Musik und Gesang unabhängig von Nationen, Geschlechtern, Parteien, Kulturen, Religionen und Standpunkten. BASSENA°GESANG forciert eine respektvolle Gesellschaft, die auf Empathie, Liebe, Vielfalt, Zusammenhalt und Zusammenarbeit setzt. Eine Gesellschaft, die Solidarität noch groß schreibt.
Mit freundlicher Unterstützung von Hammerl Immobilien Management.
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