Basisbildung und Integrationsgesetz

03.10.2017, Text: Thomas Fritz, Redaktion: Angelika Hrubesch, VHS / lernraum.wien
In diesem Jahr tritt das neue Integrationsgesetz in Kraft, das aus Sicht des Netzwerks MIKA höchst problematische Vorgaben für das Deutschlernen von zugewanderten Personen in Österreich macht.
Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Integrationsgesetz ist nötig.
Foto: CC0 Public Domain, http://pixabay.com
Das im Frühjahr beschlossene neue Integrationsgesetz regelt – neben zahlreichen anderen Bereichen – die sogenannte „Integrationsvereinbarung" für Drittstaatsangehörige neu und schreibt zusätzlich fest, dass sich Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte im Rahmen einer „Integrationserklärung" zur Einhaltung der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung sowie zum Besuch von Deutsch- bzw. Alphabetisierungskursen verpflichten müssen.

 

Curricula für Basisbildung sind fachlich fragwürdig

Dieses Integrationsgesetz ist (nicht nur) aus Sicht des Netzwerks MIKA höchst problematisch, denn die zu den geplanten Kursmodellen publizierten und vorgeschriebenen Curricula sind fachlich fragwürdig und entsprechen nicht den Standards, die für die Basisbildung in Österreich erarbeitet wurden (siehe u.a. die Prinzipien der Basisbildung des BMB und Entwicklungen zur Qualitätsentwicklung der Netzwerke MIKA und In.Bewegung).
Beispielsweise basieren die Curricula für Alphabetisierung auf einer Vorstellung von Lesen- bzw. Schreiben-Lernen als rein mechanischen Prozess, der ohne Kontexte oder Sprache(n) funktionieren würde und erst recht nicht darauf abzielt, mit Sprache/n etwas zum Ausdruck bringen und damit gehört (oder gelesen) zu werden.

 

Die in den Curricula genannten „Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung" bzw. die Vorstellung über deren „Vermittlung", entspricht nicht einer Vorstellung von „Politischer Bildung", die wir im Kontext und der Historie der österreichischen Erwachsenenbildung haben, und ganz sicher tragen die gelisteten Lernziele und Inhalte nicht zur Bildung im emanzipatorischen Sinn bei.

 

ÖIF spielt kontroversielle Rolle

Im Zusammenhang mit der Integrationsvereinbarung ist seit etwa 10 Jahren ein neuer Player in der Erwachsenenbildung, speziell im Bereich Deutsch als Zweitsprache, zu beobachten, der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF), der zu großen Teilen vom BMEIA (früher vom BMI) finanziert wird. War dieser zwischen von den Fünfzigern bis 2006 mit Wohnungsagenden und höchstens mit der Organisation und Administration von Deutsch-Fördermaßnahmen beschäftigt, spielt er heute eine große inhaltliche, aber durchaus kontroversielle Rolle im Kontext von Deutschlernen und Basisbildung: Die Integrationsvereinbarungen sahen den ÖIF zunächst in der Rolle der zertifizierenden Instanz für Integrationskurse vor. Später gründete der ÖIF eigene Bildungsinstitute. Eine regelmäßig erscheinende Zeitschrift, „zusammen Österreich", Deutschprüfungen, Symposien und Studien sowie vor allem auch Unterrichtsmaterialien für den DaZ Unterricht ergänzten nach und nach das Angebot. Mittlerweile stellt sich die Homepage des ÖIF so dar, als ob sie das Leitmedium für Angelegenheiten der Integration sei. Neben den Angeboten des ÖIF: Beratung, Deutsch lernen, Werte und Orientierung und Förderungen werden die Positionen des Geschäftsführers publiziert. Eine Auswahl aus den dazugehörigen Überschriften zeugt von der „Ausgewogenheit" der Themen: „Gewalt gegen Frauen im Kontext von Migration, Migration und Sicherheit, Menschen türkischer Herkunft in Österreich, Verschleierung im Islam". Der ÖIF publiziert auch den Integrationsbarometer, Studien über die Zufriedenheit der Österreicher_innen mit der Integration der Migrant_innen, Factsheets, Monographien und vieles mehr.

 

Vergessen scheint hier die lange Tradition einer kritischen Migrationsdebatte, die bereits in den Sechzigern begonnen hat und verdrängt wird alles, was derzeit kritisch und über die vom ÖIF hinausgehenden Positionen vorhanden ist.

 

Seit diesem Jahr bietet der ÖIF erstmals auch einen Ausbildungslehrgang für DaZ-Kursleiter_innen an, auf den er in den Informationsaussendungen zur Durchführung von Integrationskursen gleich hinweist.

 

Im Kontext des aktuellen Integrationsgesetzes wird der ÖIF an mehreren Stellen genannt. Ihm wird dadurch eine Monopolstellung zugeteilt, wobei er dadurch eine durchaus zweischneidige Rolle: er ist einerseits Fördergeber und Kontrollorgan und andererseits selbst Kursanbieter. Er wird zugleich als Prüfungsentwickler genannt ist jene Instanz, die über die Gleichwertigkeit anderer – erst einzureichender – Prüfungen entscheidet. Unterstützt durch die Integrationsgesetzgebung erlangt der ÖIF auch eine Monopolstellung in Sachen Kursinhalte und Kursmaterialien für Migrant_innen und verschafft dadurch anderen Anbieterorganisationen einen massiven Nachteil.

 

Kritische Auseinandersetzung ist notwendig

Insgesamt können wir feststellen, dass sich in den letzten Jahren Bildungsarbeit für Migrant_innen zunehmend auf der Agenda der Inneren Sicherheit befindet und nicht auf der Agenda der Bildung. Bestehende Strukturen und Traditionen der Erwachsenenbildung, die auf Konzepten des Empowerment und der emanzipatorischen Bildungsarbeit beruhen, werden im Sinne einer assimilatorischen Anpassungsbildung verändert. Es ist dringend notwendig, sich auch aus der Perspektive und den Entwicklungen der letzten Jahre kritisch mit den Produkten des ÖIF auseinanderzusetzen, Position zu beziehen und widerständig zu handeln.

 
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