Bildung ist Entwicklungsraum

13.07.2017, Text: Gabriele Kienesberger (Katholische Sozialakademie Österreichs), Redaktion: Karin Schräfl, Forum Katholischer Erwachsenenbildung
Warum es einen Lehrgang Soziale Verantwortung, subsistenzethische Perspektiven und solidarische Antworten auf die soziale Frage braucht! (Serie: Solidarität, Teilhabe und Ermächtigung)
Den Grundwasserspiegel der Solidarität heben
Foto: CCO Public Domain Pictures

Politische Erwachsenenbildung bedeutet soziale Verantwortung zu stärken.

Die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse erfordern eine aktive Gestaltung, damit sich Lebensbedingungen und Perspektiven von Menschen vor Ort und weltweit entscheidend verbessern. Politische Erwachsenenbildung, etwa in Form des ksoe-Lehrgangs „Soziale Verantwortung. Gestaltungskompetenz für den gesellschaftlichen Wandel 2016-2018" befähigt, den gesellschaftlichen Wandel sozial verantwortlich und zukunftsfähig zu gestalten.

 

Wertschätzung der Teilnehmenden

Wertschätzung gehört zu den Grundsätzen unserer Bildungsarbeit. Ausgehend von einer wertschätzenden Haltung zu Menschen, Systemen, aber auch zur eigenen Lebensgeschichte, ist es möglich, sich für Weiterentwicklungen und Veränderungen zu öffnen. Die Lerngruppe „als Spiegelbild gesellschaftlicher Verhältnisse" bietet stets Gelegenheiten, sich diesbezüglich zu erproben. Hier finden sich LernpartnerInnen und LernbegleiterInnen, die anregen und ermutigen, zuhören und unterstützen, widersprechen und konfrontieren. Neben den Lehrgangsphasen, in denen es vordergründig um Vermittlung und Aneignung von Gesellschaftswissen geht, wird diesen Dynamiken besonders Raum gegeben: in selbstorganisierten Arbeitsphasen, in Moderations- und Lerngruppen. Methoden wie „Perspektivenwechsel", „Diskurscafé" oder „Action Learning" machen deutlich, dass unter „Entwicklungsraum" keineswegs ein geschlossener Raum zu verstehen ist. Um Wahrnehmungs- und Urteilsvermögen zu schärfen, Anregungen und Einwände zu hören, aber auch um politisches Handeln zu erproben, verlassen die TeilnehmerInnen immer wieder bewusst den „Gruppenraum" und gehen „in die Öffentlichkeit".

 

Verantwortung und sozialer Zusammenhalt

Je komplexer und unüberschaubarer die gesellschaftlichen Probleme werden, umso kürzer und drängender die Zeit für mögliche Lösungen. Damit wächst die Versuchung zu kurzschlüssigen Reaktionen. Verbunden damit ist die Tendenz zur eigenen Entschuldigung und Schuldzuweisung an „die anderen". Dies bedeutet aber ein sich Davonstehlen aus der Verantwortung. Während Resignation die Handlungsmöglichkeiten unterschätzt („Wir können nichts tun"), Fanatismus sie überschätzt („Wir müssen die Wahrheit mit allen Mitteln durchsetzen") und Pragmatismus die Verantwortung auf andere abschiebt („Wir können gegen Sachzwänge nichts tun"), gilt es in nüchtern realistischer Weise die sicher bescheidenen, aber durchaus bestehenden Handlungsmöglichkeiten wahrzunehmen, konkret Verantwortung zu übernehmen.

 

Solidarität ist eine Haltung

Ziel von Erwachsenenbildung ist die Entwicklung von Haltungen, Verhaltensmöglichkeiten (Kompetenzen) und Verhältnissen (Rahmenbedingungen, Institutionen, Verfahren). Soziale Verantwortung ist Verantwortung in gesellschaftlichem Kontext. Diese ist eine Haltung, die im Verhalten Ausdruck findet, die in der Gestaltung der Verhältnisse wirksam wird. Dies alles basiert auf einer Ethik, also der Frage nach dem SOLLEN, der Frage nach Kriterien und Werten, die in der bewussten Übernahme von Verantwortung Ausdruck findet. Verantwortung übernehmen heißt, dass ich mich für eine entsprechende Antwort auf Herausforderungen und Probleme entschieden habe.

 

Solidarität braucht fundiertes Wissen

Solidarische Erwachsenenbildung muss bürgerliche Werthaltungen hinterfragen. Machen wir das Ganze an der Sozialstaatsdebatte fest. Der Diplom-Volkswirt und Wirtschaftsethiker Sebastian Thieme weist in seinem Beitrag „Rohe Bürgerlichkeit und der Sozialstaat" sehr eindringlich auf Entsolidarisierungsbestrebungen von oberster Stelle hin. Thieme bezieht sich auf den Soziologen Heitmeyer, der konstatiert, dass Spaltung in die Gesellschaft „ideologisch durch die Abwertung und Diskriminierung von statusniedrigen Gruppen durch die rohe Bürgerlichkeit getragen" wird.

 

Rohe Bürgerlichkeit und Entsolidarisierung

Diese „rohe Bürgerlichkeit" bewirkt eine „Entsolidarisierung", einen „Rückzug aus der Solidargemeinschaft". Thieme weist auf die „unverblümten Sprache" des Vorwurfs des Sozialmissbrauchs hin und sieht darin einen Dammbruch für die „legitimierenden Mythen" der sozialen Verwahrlosung und des Sozialmissbrauchs.

 

Ähnliches stellen wir auch in der österreichischen Sozialstaatsdebatte fest: Negative Stereotypen wie die vom ‚faulen Arbeitslosen' oder vom ‚Ausländer', der ‚den Sozialstaat belastet', werden zur Legitimation verweigerter Unterstützung herangezogen. Viele Menschen sind der Ansicht, schwache Gruppen sollten sich selbst helfen. Organisierte Entsolidarisierung und „Rohe Bürgerlichkeit" als Mangel an Mitgefühl tun sich hier zusammen.

 

Den Grundwasserspiegel der Solidarität heben

Nun kommen wir aber nicht umhin, die Sozialstaatsdebatte nicht nur auf erwachsenenbildernischem Niveau zu führen, sondern sie auch z.B. mittels Kampagne in die Breite zu tragen, um den Grundwasserspiegel der Solidarität in sozialen Fragen in unserer Gesellschaft wieder zu heben.

 

Am Beispiel: Christlich geht anders

Die Initiative „Christlich geht anders. Solidarische Antworten auf die soziale Frage." will ein Bündnis für mehr Gerechtigkeit sein, nach „Innen" also in kirchliche Kreise, wirken, aber genauso gesellschaftspolitische Debatten am christlichen Menschenbild messen. Es ist ein Bündnis, das auf einen aktiven Sozialstaat, gerechte Steuerpolitik und damit auf solidarische Lösungen für die soziale Frage von heute abzielt. Eben solidarische Antworten sucht.

 

Serie: Solidarität, Teilhabe und Ermächtigung in der Erwachsenenbildung

In welcher Gesellschaft wollen wir miteinander leben? In Zeiten großer gesellschaftlicher Umbrüche und demokratischer Erosion ist diese Frage für Erwachsenenbildung von steigender Bedeutung. Mit freiem Auge erkennen wir die gesellschaftlichen Brüche und Verwerfungen, die von einer zunehmend entsolidarisierten Gesellschaft zeugen. Wie wir leben wollen ist eine Frage, die beim Umgang mit uns selbst und unseren Nächsten anfängt, aber bei weitem nicht dort endet. In postdemokratischen Zeiten stehen die Verhältnisse, Strukturen und Exklusionsmechanismen mindestens ebenso sehr zur Verhandlung, wie humanistische Wertvorstellungen und Aufklärungsideale. Ein Blick, den uns das "Bildungsevangelium" als Erzählung vom persönlichen Erfolg durch Bildung immer wieder verstellt. Alle bisher zur Serie #ebsoli erschienen Beiträge finden Sie hier.

Weitere Informationen:
  • Der Lehrgang „Soziale Verantwortung" ist berufsbegleitend und bietet AkteurInnen des gesellschaftlichen Wandels einen Entwicklungsraum, um gesellschaftliche Entwicklungen zu analysieren, Alternativen zu prüfen, sozial-ethische Positionen zu erarbeiten und Kompetenzen zur Gestaltung des gesellschaftlichen Wandels zu erwerben. Besondere Bedeutung hat das gemeinsame Lernen mit Menschen aus unterschiedlichen europäischen Ländern und mit unterschiedlichem sozialen, politischen, kulturellen und religiösen Hintergrund. Der Lehrgang findet in Kooperation mit verschiedenen NGOs und Bildungsakademien unterschiedlicher Parteien, Interessensorganisationen und Religionsgemeinschaften aus Österreich und anderen europäischen Ländern statt.
    www.ksoe.at
  • Initiative „Christlich geht anders. Solidarische Antworten auf die soziale Frage."

 

Quellen:

Dossier. Nachrichten und Stellungnahmen der Katholischen Sozialakademie Österreichs 05/2006 (Soziale Verantwortung entwickeln)

Heitmeyer, Wilhelm (2012a): Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (GMF) in
einem entsicherten Jahrzehnt. In: Heitmeyer, Wilhelm [Hrsg.]: Deutsche Zustände:
Folge 10. Berlin, S. 15-41.

Heitmeyer, Wilhelm (2011): Rohe Bürgerlichkeit. In: Zeit, vom 28.9.2011,
http://www.zeit.de/2011/39/Verteilungdebatte-Klassenkampf/ [16.3.2013].

Heitmeyer, Wilhelm (2010): Disparate Entwicklungen in Krisenzeiten,
Entsolidarisierung und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. In: Heitmeyer,
Wilhelm [Hrsg.]: Deutsche Zustände: Folge 9. Berlin, S. 13-33.

Thieme, Sebastian (2015a): Selbsterhaltung im „Markt"? Subsistenzethische Betrachtung des Wettbewerbs und der Arbeits- und Marktgesellschaft. In: Ötsch, Walter u. a. [Hrsg.]: Markt! Welcher Markt? Marburg, Metropolis, S. 341-360.

Thieme, Sebastian (2014): Subsistenz, Viabilität und Sozialstaat – Grundzüge einer Subsistenzethik. In: Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik (zfwu), Jg. 15, Heft 2, S. 263-278.

Thieme, Sebastian (2012): Das Subsistenzrecht – Begriff, ökonomische Traditionen und Konsequenzen. Marburg: Metropolis.

Thieme, Sebastian: „Rohe Bürgerlichkeit und der Sozialstaat", in: Gegenblende – Ausgabe 21, Mai/Juni 2013

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