Freie Medien machen mit Bildung Politik

14.06.2017, Text: Christine Bärnthaler, Redaktion/CONEDU
Der nichtkommerzielle Rundfunk erfüllt neben seiner demokratiepolitischen Bedeutung eine wichtige Bildungsfunktion und hat ein enormes Potenzial als Bildungseinrichtung.
Freie Medien haben ein enormes Bildungspotenzial
Bild: "Radio", CC BY NC SA Theodor-Zink-Museum Kaiserslautern
Der nichtkommerzielle Rundfunk erfüllt neben seiner demokratiepolitischen Bedeutung eine wichtige Bildungsfunktion und hat ein enormes Potenzial als Bildungseinrichtung. Er ist Ort der Partizipation, der politischen Bildung und der Medienkompetenzförderung. Zu dieser Erkenntnis kommt eine Studie zu Bildungsleistungen und Beiträgen zum lebensbegleitenden Lernen des nichtkommerziellen Rundfunks in Österreich.

 

Nichtkommerzielle Medien haben enormes Bildungspotenzial

Als freie Räume der Information haben nichtkommerzielle Medien die Kraft, die Medienlandschaft zu transformieren und die Beteiligung von Randgruppen zu erhöhen. Sie richten sich an Jugendliche, ältere Menschen, MigrantInnen und andere Interessierte. Die 14 freien Radiosender und 3 Community TVs in Österreich bieten eine Plattform für alle jene Bevölkerungsgruppen, deren Möglichkeiten, öffentliches Gehör zu finden, ansonsten sehr gering sind. Sie gestalten Medieninhalte in vielen Sprachen und erzählen aus unterschiedlichen Perspektiven. Die Beteiligten bekommen die Gelegenheit, mit den Medien Radio und TV zu experimentieren. Sie finden Lern- und Begegnungsräume, in denen sie mit ihren medialen Bedürfnissen willkommen sind und in der Gestaltung unterstützt werden.

 

Active Citizenship ermöglichen

Ein wichtiger Aspekt der Freien Mediengestaltung ist es, dass durch diese Form der Beteiligung eine aktive Teilnahme an der Gesellschaft im Sinne eines Active Citizenship ermöglicht wird. Die SendungsmacherInen gestalten durch ihr Tun nicht nur ihre konkrete Sendung, sondern sie gestalten damit auch insgesamt die nichtkommerziellen Medien in Österreich (und Europa). Active Citizenship ist nach den Bildungswissenschaftlern John Holford und Ruud van der Veen ein interaktiver lebenslanger Lernprozess, der handelnd, situationsbedingt und interessengeleitet stattfindet, was sich in Achtsamkeit und einem Gerechtigkeitssinn äußert. Dies zu erlernen sei aber weniger in schulischen und formalen Bildungseinrichtungen möglich, als in Situationen aktiver Teilnahme an der Gesellschaft.

 

Schlüsselkompetenzen erwerben durch informelles Lernen

Die im nichtkommerziellen Rundfunk erwerbbaren Kompetenzen entsprechen den acht Schlüsselkompetenzen der EU und demonstrieren damit das Potenzial als Bildungseinrichtung. Rund 130 Beschäftigte und ca. 3.000 ehrenamtliche SendungsgestalterInnen, aber auch SchülerInnen, Studierende, Lehrlinge und PraktikantInnen können in organisierten Fortbildungen sowie durch informelles Lernen Wissen erwerben. Medienpädagoge Helmut Peissl und Soziologin Maike Lauggas haben in einer umfassenden Studie von 2013 bis 2015 Weiterbildungsprogramme von österreichischen Freie Radios und Community TVs untersucht sowie eine Onlinebefragung unter SendungsgestalterInnen, ExpertInneninterviews, Fokusgruppengespräche und Forschungsgruppenworkshops durchgeführt. Die StudienautorInnen ordnen die Vielzahl an Fertigkeiten, Fähigkeiten und Kompetenzen in sechs Knotenpunkte des Lernens:


1. Umgang mit Technik
2. Sprechen und Sprache
3. Teilhabe und Auseinandersetzung
4. Kontaktaufnahme
5. Umgang mit medialen Öffentlichkeiten
6. Mut und Spontaneität

 

Bedingungen, die den Kompetenzerwerb fördern

Weiters haben die ForscherInnen untersucht, welche spezifischen Bedingungen beim nichtkommerziellen Rundfunk den Kompetenzerwerb fördern. Die SendungsmacherInnen können ohne lange Ausbildung mit dem Senden anfangen. Sie wählen frei, ob und was gelernt wird und wie sie ihre Sendungen gestalten. Das heißt, sie müssen keine Produktivitäts- und Leistungserwartungen erfüllen und können frei experimentieren. Förderlich sind auch die persönlichen Kontakte im Sender, die örtliche Nähe des Senders und die Anbindung der Sendungsinhalte an die eigene Lebenswelt.

 

Community Medien sind international anerkannt

Unter dem Begriff Community Medien - in Deutschland auch als Bürgermedien bezeichnet - werden nichtkommerzielle Radio- und Fernsehsender zusammengefasst, die durch ihren freien Zugang und die Beteiligung von BürgerInnen ein alternatives Programmangebot bieten. Wesentliche Merkmale dieser Community Medien sind Nichtkommerzialität, lokale Verankerung und gemeinschaftliche Organisationsformen.

 

Die freien Medien gibt es weltweit in sehr unterschiedlichen Formen und Größen, mit verschiedensten Reichweiten und Bekanntheitsgraden. Die Bedeutung dieses sogenannten "Dritten Mediensektors" wurde in den letzten Jahren auch auf internationaler politischer Ebene durch das Europäische Parlament hinsichtlich der Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, des lokalen Empowerments sowie des interkulturellen Dialogs anerkannt und in Studien untersucht.

 

Der Europarat betont in einer Empfehlung 2007 die besondere Bedeutung von Community Medien im Hinblick auf die wachsende Medienkonzentration, da sie einen wichtigen Beitrag zur Förderung der Medienvielfalt leiste. Auch die österreichische Bildungspolitik hat sich in Ihrer Strategie zum Lebensbegleitenden Lernen (LLL:2020 - Strategie) dazu bekannt, Community Education Ansätze, zu denen auch die nichtkommerziellen Sender gehören, in der Zivilgesellschaft zu verstärken. Vorstandsmitglied des Freien Radio Salzkammergut Christian Kloyber, gleichzeitig Leiter des Bundesinstituts für Erwachsenenbildung (bifeb), spricht von freien Radios als "digitale Stimme nicht nur in einem globalen Dorf, sondern in einer Zivilgesellschaft, die sich ihrer globalen Verantwortung stellt".

 

Vom Piratensender zum anerkannten Medium

Nichtkommerzielle Sender und Community Medien haben eine lange Tradition. So gründeten beispielsweise in den 1970er Jahren lateinamerikanische MigrantInnen in den USA eigene Community Radiosender um sich gegen ihre Ausgrenzung zu wehren. Von Beginn an spielte die politische Partizipation - vor allem gesellschaftlicher Randgruppen - eine große Rolle. In Europa etablierten sich die ersten nichtkommerziellen Medien erst ab Mitte der 1980er Jahre, da die europäische Medienlandschaft bis dahin von Rundfunkmonopolen geprägt war, wie Medienwissenschaftler Peissl ausführt. In Österreich ermöglichte eine Gesetzesänderung 1998 den bis dahin als "Piratensender" bekannten Medien, sich - neben öffentlich-rechtlichem und kommerziellem - als dritter Mediensektor legal zu etablieren.

Zum Weiterlesen
Quelle: EPALE E-Plattform für Erwachsenenbildung in Europa

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