"Was gibt es wichtigeres, als die Zukunft im Jetzt zu reparieren?"

12.03.2020, Text: Lucia Paar, Redaktion/CONEDU
Mit "Reparatur der Zukunft" hat die Journalistin Ina Zwerger ein partizipatives und crossmediales Medienprojekt mitinitiiert, das als Bildungsprojekt verstanden werden will.
Die Ö1-Initiative Reparaur der Zukunft ruft zum Mitmachen auf: Interessierte können ihre Ideen via Videoclip einreichen.
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Wir wissen und fühlen, dass es so nicht weitergehen kann, sagt die Leiterin der Ö1 Redaktion Radiokolleg und des Ö1 Bildungsressorts Ina Zwerger über die Gesamtheit der Negativentwicklungen unserer Zeit. Mit "Reparatur der Zukunft" hat Ö1 ein partizipatives und crossmediales Medienprojekt des ORF ins Leben gerufen, das auch als Bildungsprojekt verstanden werden will. Worum es dabei genau geht, erzählt Ina Zwerger im Interview.

Lucia Paar: Wir führen dieses Interview für ein Medium, das sich an ErwachsenenbildnerInnen richtet. Darum möchte ich gleich nach dem viel zitierten Bildungsauftrag des ORF fragen. Spielt er bei der Initiative Reparatur der Zukunft eine Rolle?

Ina Zwerger: Ja, und das gleich in mehrfacher Hinsicht! Mit der Ö1 Initiative "Reparatur der Zukunft - Das Casting neuer Ideen" haben wir eine online Ideenplattform geschaffen, einen Generationendialog gestartet und einen inhaltlichen Programmschwerpunkt gesetzt. Die Reparatur der Zukunft ist ein Cross-Media-Projekt, es verbindet Radio und Online, also die Ö1 Sendungen mit der Ö1 Homepage, aber auch mit Social Media, Facebook, Twitter, Instagram und einen Podcast.

 

Wir laden unsere Hörerinnen und Hörer ein, uns Videos über ihre Projekte zu schicken und wir berichten darüber in unseren Sendungsformaten, aber auch auf den Ö1 Social Media Kanälen. Es geht darum, neu und anders zu denken, wie wir den Herausforderungen unserer Zeit begegnen können. Es geht um Ideen, wie wir nachhaltiger leben können, den CO2 Ausstoß minimieren. Aber ein besseres Leben und vor allem auch ein gutes Lebensgefühl braucht mehr als Klimaschutz, es geht vor allem um das gesellschaftliche Klima. Deshalb sind Projekte, die auf Frauenförderung setzen, Impulse zur sozialen Innovation geben, Inklusion fördern, den öffentlichen Raum zurückerobern oder tradierte Genderrollen aufbrechen, ebenso wichtig.

Was zeichnet die Ö1 Initiative aus?

Es gibt viele Ausschreibungen, die auf Innovationen im Umweltbereich, oder im technischen oder im sozialen Bereich abzielen. Wir können als bundesweiter Sender übergreifend Ideen sammeln und sie hörbar und sichtbar machen. Warum das alles auch mit Bildung zu tun hat, ist einfach erklärt: gehen Sie zu oe1.orf.at/zukunft, klicken Sie sich durch und lassen Sie sich inspirieren!

Wie kam es zu der Idee der Initiative? Ist sie auch eine Reaktion auf die Diskussionen rund um Fridays for Future?

Es ist eine Reaktion auf das Wissen und das Gefühl, dass es so nicht weitergehen kann. Wir stehen vor großen globalen Herausforderungen. Jetzt gerade führt uns das Corona Virus vor Augen, wie vernetzt, wie verbunden und damit wie abhängig wir von anderen sind. Das betrifft unsere Gesundheit, unsere Wirtschaft, Umwelt, Klima, Luft, Wasser - einfach alles.

 

Das heißt wir müssen auch Wege finden, unsere Ideen zu bündeln, uns auszutauschen, uns gegenseitig auf eine positive Weise motivieren. Ö1 macht das in vielen Sendungen. Ich bin zuständig für die Ö1 Sendereihe Radiokolleg und wir behandeln all diese Themen immer wieder, von allen Seiten mit viel Expertise. Aber die Leute direkt einzuladen, mitzudenken, mitzumachen und uns ihre Ideen und Projekte vorzustellen, das hat tatsächlich eine eigene Qualität. Vor allem, wenn ihre Inhalte in unsere Sendungen einfließen. Das führt zu einer Kooperation mit unseren Hörerinnen und Hörern, zu einer gemeinsamen Aufgabe und: was gibt es Wichtigeres, als die Zukunft im Jetzt zu reparieren?

In der Beschreibung der Sendung ist auch von einem Generationendialog die Rede. Mich interessiert, wie er gelingt. Was erwarten Sie sich davon, auch in Hinblick auf eine Bildung für die Zukunft?

Viele Ö1 HörerInnen haben großes Know-How, Erfahrungen und Ressourcen. Wir laden sie ein, ihre Expertise der jüngeren Generation zugutekommen zu lassen und sich dank der Plattform oe1.orf.at/zukunft zu vernetzen. Ö1 übernimmt damit eine Vermittlungs- und Brückenfunktion zwischen den Generationen. Mapping - Matching - Mentoring, so lautet die Formel der Ö1 Initiative Reparatur der Zukunft.

Warum glauben Sie ist das ein Bildungsprojekt mit Zukunftspotential?

Erstens geht es um unsere Zukunft und wir alle müssen voneinander lernen. Wir brauchen neue Ideen und Anstöße und die entstehen nicht nur in den Labors und Wissenschaftsinstitutionen, sondern auch im Alltag, durchs Ausprobieren und Experimentieren. Und Bildungsformate müssen partizipativer werden, wir wollen Platz schaffen für die 1001 guten Ideen des Publikums, die wir noch nicht kennen. Wir geben ihnen im Ö1 Kontext Raum, um gehört und gesehen zu werden, eine Bühne für Innovationen, Engagement - eine Möglichkeit zur Selbstwirksamkeit. Und Selbstwirksamkeit ist wohl eine der wichtigsten Bildungsressourcen, denn was nützt uns all das Wissen um den Klimawandel, wenn wir uns selbst nicht motivieren können, auch Schritte zu setzen.

Sie suchen ja innovative Ideen, Konzepte oder schon realisierte Projekte, die Probleme der Gegenwart erkennen und Lösungen bieten. Welche Initiativen haben Sie schon gefunden?

Wir finden sie nicht, sondern sie finden uns! Wir, das sind die Redakteurinnen Monika Kalcsics, Mirela Jasic und ich haben das Projekt in viermonatiger Vorbereitungszeit entwickelt und umgesetzt. Es ist ein work in progress, der permanente Weiterentwicklung verlangt und ein Umdenken bedeutet. Denn die HörerInnen produzieren den Stoff. Und in diesem Fall geht es vor allem um potenzielle HörerInnen, also jene, die vielleicht noch gar nicht wissen, dass es uns, dass es Ö1 gibt. Das heißt, um an den Inhalt heranzukommen, der formal als "User Generated Content" bezeichnet wird, müssen wir sie erreichen, indem wir intensive Vernetzung mit Institutionen, Unis, Initiativen betreiben und das Casting bewerben - von Social Media über den eigenen Podcast bis zu simplen E-Mails. Eine Anstrengung, die wir als One-to-many Medium im Normalfall nicht unternehmen müssen.

 

Wir hatten von 20. bis 30. Jänner einen Ö1 Programmschwerpunkt zur Reparatur der Zukunft, wo wir in Sendungen immer wieder zum Casting neuer Ideen eingeladen haben. Seither gibt es ebenfalls immer wieder Sendereihen, wie das Radiokolleg, das über eingereichte Projekte berichtet und zum Mitmachen aufruft. Ab 16. März wird es in Kooperation mit FM4 auch einen Podcast geben, in dem sich Mirela Jasic von Ö1 und Lukas Tagwerker von FM4 in die kuriose und fantastische Welt von morgen wagen, die schon heute entsteht. Hier wird diskutiert, nachgefragt und erklärt, wie so manche Projekte der Initiative Reparatur der Zukunft aus ganz Österreich funktionieren. Doch auch beim Podcast läuft die Zeit, es stehen insgesamt 240 Minuten für das Finden von Lösungsansätzen zur Verfügung.

 

Die Bandbreite der Ideen, die auf unserer Plattform oe1.orf.at/zukunft eintrudeln, kann sich sehen lassen. Präsentiert werden Apps für Fahrgemeinschaften oder gegen Lebensmittelverschwendung, Schuhe für Blinde oder Mode zum Ausborgen in einer Fashion Library, schmackhafte Burger aus Insektenproteinen, ein Lebensmittelgeschäft ohne Verpackung und Plastikmüll, ein Blog über weibliche Sexualität, junge Flüchtlinge, die sich im Verein Bunt selbstorganisieren, Schülerinnen, die aus Sperrholz Möbeln tischlern, ein Finanzportal, das Fonds auf Nachhaltigkeit prüft oder ein Uni-Labor, wo Studierende Alkohol mit CO2 Recycling herstellen. Also es geht um Klimaschutz und Nachhaltigkeit genauso wie um Mitbestimmung, soziale Innovationen oder Genderfragen.

Sie rufen die Menschen auf, ihre Projekte über Ö1 mittels Videoclips vorzustellen. Wer kann da mitmachen, und wo kann man diese Clips ansehen?

Im Moment (Anm.: Zeitpunkt des Interviews ist der 9. März) sind es bereits mehr als 70 Videos, die unter oe1.orf.at/zukunft zu sehen sind. Die Aktion läuft erst seit 20. Jänner, also die Beteiligung ist sehr hoch. Obwohl wir nach Videos fragen, die drei Fragen beantworten sollen. Diese lauten: Wer sind Sie? Was ist das Problem? Was machen Sie neu/anders? Und die Videoclips sollen nicht viel länger als 3 Minuten sein. Wir hatten anfangs die Sorge, dass diese Anforderungen zu hoch sind. Aber das ist nicht der Fall. Gerade weil wir junge Menschen ansprechen wollen, funktioniert das sehr gut.

 

Am besten finden wir Videos, wo die Leute einfach erzählen und sich selbst mit der Handykamera aufnehmen. Aufwendige Imagevideos, PR-Videos lehnen wir ab. Reparatur der Zukunft ist keine Werbeplattform, sondern eine Ideensammlung. Was von Anfang an super funktioniert hat, ist, dass wir Projekte, Konzepte und Ideen aus allen wichtigen Bereichen bekommen. Und ja - ganz wichtig: jeder und jede kann mitmachen! Wir suchen alles, was selbstgemacht, selbstgedacht oder selbstorganisiert wird und die Zukunft im Jetzt repariert.

Ich habe gelesen, dass man auch eine Auszeichnung für eingereichte Projekte bekommen kann sowie ein Mentoring? Was bekommen GewinnerInnen konkret?

Wer in den Genuss eines Mentorings kommen will, muss bis zum 20. Mai einreichen, danach entscheidet eine Jury aus NachhaltigkeitsexpertInnen und VertreterInnen jener Organisationen, die die Auszeichnungen vergeben. Ausgewählt werden 20 Projekte, die von 23.10. bis 25.10. 2020 zum "Markt der Zukunft" nach Graz eingeladen und dort an zwei Tagen von einem ExpertInnen-Team von FH JOANNEUM und TU Graz gecoacht werden. Sie geben Unterstützung bei der Gründung von Start-ups, der Entwicklung von Projektideen und der Beratung zu Vernetzungsmöglichkeiten mit Institutionen und Organisationen aus den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur.

Wer macht sonst noch mit?

Weitere Kooperationspartner, die Projekte fördern sind die Akademie der bildenden Künste Wien, das Wissenstransferzentrum, ein Verbund aller österr. Universitäten und Fachhochschulen, das Ars Electronica Festival, das Architekturzentrum Wien, das Europäische Forum Alpbach, das Musikfestival Glatt & Verkehrt und das Ö1 Kulturzelt auf der Donauinsel. Das Mapping des Zukunftspotentials Österreichs auf oe1.orf.at/zukunft wird auch nach dem 20. Mai weitergehen. Denn es geht darum, im Kontext von Ö1 Raum und Aufmerksamkeit für die 1001 guten Ideen des Publikums zu schaffen, die wir noch nicht kennen. Eine offene Bühne für Innovation, Engagement und Selbstwirksamkeit.

 

Ina Zwerger ist Leiterin der Ö1 Redaktion Radiokolleg und des Ö1 Bildungsressorts.

Weitere Informationen:
Quelle: EPALE E-Plattform für Erwachsenenbildung in Europa

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