Good Practice in der Anwendung von Gender Mainstreaming

Surur Abdul-Hussain, Heinz Baumann, Manfred Kummer (2006); aktualisiert und ergänzt: Surur Abdul-Hussain (2014)

Auf dieser Seite werden Good-Practice-Beispiele aus Österreich und der EU vorgestellt. Um verschiedene Möglichkeiten der Anwendung von Gender Mainstreaming anschaulich zu machen, wurden eine Erwachsenenbildungseinrichtung, eine Organisation im Forschungskontext, eine Anbieterin für Gender-Mainstreaming-Produkte und eine Publikation zu Good-Practice-Beispielen von Gendertrainings in der EU ausgewählt.

 

Verband österreichischer gewerkschaftlicher Bildung (VÖGB)

Der Gender-Mainstreaming-Prozess des VÖGB stellt eine sehr umfassende und engagierte Implementierung von Gender Mainstreaming in einer Bildungseinrichtung dar. Das Pilotprojekt entstand im Rahmen des Gender-Mainstreaming-Implementierungsprozesses des Österreichischen Gewerkschaftsbunds (ÖGB). Auftrag des VÖGB war es, ein Pilotprojekt zu Gender Mainstreaming in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit durchzuführen, welches im Anschluss engagiert weitergeführt wurde.


Für das Vorhaben Gender Mainstreaming in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit wurde eine Arbeitsgruppe aus Bildungsverantwortlichen des ÖGB, der Gewerkschaften und der Arbeiterkammer gegründet. Die Mitglieder setzen sich seither unermüdlich für die Umsetzung von Gender Mainstreaming in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit ein. Im Zentrum der Bemühungen steht eine Gleichstellungspolitik, die sich dem Abbau sozialer Ungleichheit zwischen den Geschlechtern widmet. Darüber hinaus will die Arbeitsgruppe zur Überwindung überkommener Rollenbilder beitragen und damit Geschlechterdemokratie verwirklichen.


Am Beginn des Prozesses standen Informationsworkshops und die Planung des Projekts. Mit Hilfe eines externen Beratungsteams erfolgte die Prozessentwicklung entlang der GeM-Spirale: Analyse, Ziele, Umsetzung, Evaluierung. In diesem Sinne wurde zunächst mit Hilfe der 4R-Methode eine systematische Genderanalyse der Zielgruppen, der Angebote und der Referent_innen bzw. Trainer_innen erstellt. Auf Basis der Genderanalyse erfolgte eine strukturierte Zielplanung, bei der Grobziele festgesetzt und im Laufe der Jahre regelmäßig reflektiert, ergänzt und differenziert wurden. Aktuell setzt sich der VÖGB folgende Ziele:

 

  • Gender Mainstreaming ist als Thema etabliert und integraler Bestandteil aller Bildungsaktivitäten.
  • Trainerinnen und Trainer agieren gendergerecht.
  • Die Rahmenbedingungen aller Bildungsangebote sind so gestaltet, dass sie von Frauen und Männern mit unterschiedlichem soziokulturellem Hintergrund angenommen werden können.
  • Bildungsverantwortliche setzen Trainerinnen und Trainer bei jedem Thema gleichermaßen ein.


Zu diesen Grobzielen wurden in der jeweiligen Zielphase Feinziele entwickelt. Darüber hinaus wurde ein Leitbild zu Gender Mainstreaming in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit entwickelt. Um die Ziele zu erreichen, erfolgten eine Umsetzungsplanung und die Umsetzung dieser Maßnahmen. So wurden die Rahmenbedingungen an die erhobenen Bedürfnisse von unterschiedlichen Lebensentwürfen der Teilnehmer_innen angepasst und damit auch neue Zielgruppen erschlossen. Die Veränderung der Veranstaltungszeiten, die Unterstützung bei Kinderbetreuungsaufgaben und gendersensible Sprache sind Beispiele dafür.


Das Thema Gender Mainstreaming wurde in alle Schulungsschienen des VÖGB integriert: in die Grundkurse für Betriebsräte und Betriebsrätinnen, in die Kurse der Gewerkschaftsschule, der Sozialakademie und der Betriebsratsakademie. Außerdem ist Gender Mainstreaming Teil eines Lehrgangs für soziale Kompetenz. Für die Gewährleistung gendersensiblen Handelns der Trainer_innen und Referent_innen werden seit dem Frühjahr 2005 zusammen mit der ReferentInnenakademie der Arbeiterkammer Wien (AK Wien) laufend Schulungen, Veranstaltungen und Weiterbildungsangebote bereitgestellt. Anfang 2007 erschien ein Leitfaden für gendergerechte gewerkschaftliche Bildungsarbeit. Zur Definition von Genderkompetenz in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit wurden Qualitätskriterien für genderkompetente gewerkschaftliche Bildungsarbeit entwickelt. Diese werden in Weiterbildungsangeboten für und Auftragsgesprächen mit Trainer_innen und Referent_innen vermittelt. Die Einhaltung dieser Qualitätskriterien soll flächendeckend erreicht werden.


Darüber hinaus erfolgen Vernetzungen mit anderen Gender-Mainstreaming-Arbeitsgruppen innerhalb und außerhalb des ÖGB. Die laufenden Evaluationsschritte zeigen eine hohe Zufriedenheit in Bezug auf die Erreichung der Ziele. Auch für den VÖGB ist Gender Mainstreaming nie abgeschlossen und so sichern die Geschäftsführerin und die Arbeitsgruppe Gender Mainstreaming die Weiterführung und Nachhaltigkeit von Gender Mainstreaming in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit mit der kontinuierlichen Arbeit in der GeM-Spirale.

GenderWerkstätte - eine Kooperation von Frauenservice Graz und Verein für Männer- und Geschlechterthemen Steiermark (vormals Männerberatung Graz)

Die GenderWerkstätte ist eine in Europa herausragende Kooperation eines feministischen Vereins für Frauen und eines Vereins für Männer auf der Basis kritischer Männlichkeitsforschung. Im Mai 2001 entschlossen sich der Verein Frauenservice Graz und der Verein für Männer- und Geschlechterthemen Steiermark dazu, eine Kooperation zur fundierten (Weiter-)Entwicklung von Gender Mainstreaming einzugehen.


Das Frauenservice Graz ist eine Non-Profit-Organisation (NPO) und arbeitet seit 1984 auf konzeptueller und auf praktischer Ebene in den Bereichen Beratung, Bildung, Projekte und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zu frauenspezifischen Problemfeldern und Benachteiligungen. Der Verein Frauenservice sieht sich als Expertin für Geschlechterpolitik aus Frauenperspektive. Genderkompetenz als Analysefähigkeit in Bezug auf Geschlechterrollen und Geschlechterverhältnisse ist eine der Kernkompetenzen feministischer Arbeit. Der Verein für Männer- und Geschlechterthemen Steiermark (vormals Männerberatung Graz) ist ebenfalls eine NPO. Als Institution übernimmt der Verein seit 1996 Verantwortung für die Hinterfragung der traditionellen hegemonialen Männerrollen innerhalb unserer Gesellschaft. Beständig arbeitet der Verein an der Neudefinition von Männlichkeitsmodellen zu Gunsten einer geschlechterdemokratischen Gesellschaft. Der Verein für Männer- und Geschlechterthemen Steiermark ist Experte für Geschlechterpolitik, der Geschlechtssensibilität und Genderkompetenz ebenso aus seinen Tätigkeitsbereichen mitbringt wie das Wissen um Anliegen und Problemfelder von Männern in unserer Gesellschaft.


Im Mai 2001 entstand aus der Kooperation des Vereins Frauenservice Graz mit dem Verein für Männer- und Geschlechterthemen Steiermark das gemeinsame Konzept der "GenderWerkstätte" (Sigrid Fischer/Christian Scambor). Als "Ideenwerkstätte" für Gender Mainstreaming ist sie als interdisziplinärer Konzept-, Reflexions- und Arbeitskreis konzipiert. Auf Basis eines emanzipatorischen Geschlechterdialoges arbeiten hier Mitarbeiterinnen des Vereins Frauenservice Graz und Mitarbeiter_innen des Vereins für Männer- und Geschlechterthemen Steiermark zusammen. Heute ist die GenderWerkstätte ein Netzwerk von Expertinnen und Experten aus verschiedenen Berufsfeldern. Sie sind Mitarbeiter_innen im Frauenservice Graz, im Verein für Männer- und Geschlechterthemen Steiermark oder selbständige Trainer_innen und Berater_innen und arbeiten gemeinsam an der Kompetenzentwicklung für Gender- und Diversitystrategien.


Fachdiskussionen aus der Frauen-, Männer- und Geschlechterforschung fließen ebenso in die gemeinsamen Reflexionen ein wie praktische Erfahrungen aus den Workshops, Analysen und Trainings sowie individuelle Positionen und Expertisen. Die prozesshafte Weiterentwicklung von Konzepten für Genderbildung und Umsetzungsstrategien für Gender Mainstreaming soll damit gewährleistet sein. Auch die GenderWerkstätte hat ein Leitbild, das die Vision der Geschlechterdemokratie beinhaltet.

 

Die GenderWerkstätte bietet seit 2001 mit fundierter Expertise und auf Basis geschlechterdemokratischer Grundsätze Folgendes an:

 

  • Beratung und Begleitung für die Umsetzung von Gender Mainstreaming
  • Genderanalysen und Evaluationen
  • Gender- und Diversitykompetenztrainings und -lehrgänge
  • Entwicklung von Konzepten und Qualitätskriterien für Genderbildung in nationalen und EU-Projekten

Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG)

Die FFG ist ein gutes Beispiel für eine Organisation, die verantwortungsbewusst und engagiert Gender Mainstreaming in allen Organisationsbereichen umsetzt. Die FFG ist die nationale Förderstelle für wirtschaftsnahe Forschung in Österreich. Sie unterstützt österreichische Unternehmen, Forschungsinstitutionen und Forschende mit einem umfassenden Angebot an Förderungen und Services und vertritt österreichische Interessen auf europäischer und internationaler Ebene. Die FFG wurde 2004 gegründet. Sie steht zu 100 Prozent im Eigentum der Republik Österreich. Träger der FFG sind das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) und das Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend (BMWFJ). Als Anbieter von Förderdienstleistungen ist die FFG aber auch im Auftrag anderer nationaler und internationaler Institutionen tätig. Das Ziel aller Aktivitäten der FFG ist die Stärkung des Forschungs- und Innovationsstandorts Österreich im globalen Wettbewerb.


Die Aufgaben der FFG umfassen folgende Bereiche:

 

  • Management und Finanzierung von Forschungsprojekten der Wirtschaft und der Wissenschaft, von Impulsprogrammen für Wirtschaft und Forschungseinrichtungen sowie von Netzwerken zur Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft
  • Management von kooperativen Programmen und Projekten mit der EU und anderen europäischen und internationalen Partnern
  • Vertretung der österreichischen Interessen gegenüber den relevanten europäischen und internationalen Institutionen im Auftrag des Bundes
  • Beratung und Unterstützung zur Stärkung der österreichischen Beteiligung in europäischen Programmen, vor allem beim EU-Rahmenprogramm für Forschung, Technologie und Innovation sowie beim Rahmenprogramm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation
  • Unterstützung und Strategievorbereitung für die Entscheidungsträger_innen des österreichischen Innovationssystems
  • Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Bedeutung von Forschung und Entwicklung


2007 wurde im Haus der Forschung (Wien), in welchem Forschungs- und Forschungsförderungseinrichtungen, so auch die FFG, arbeiten, die organisationsübergreifende genderAG gegründet. Sie hat zum Ziel, die Gender-Mainstreaming-Aktivitäten im Haus der Forschung sichtbar zu machen und damit das Thema "Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Arbeitswelt Forschung" zu stärken. Die genderAG hat für alle Organisationen im Haus Implementierungsempfehlungen entwickelt. Zudem wurden im Zuge der Haushaltsrechtsreform des Bundes Gender Budgeting und der Grundsatz der Wirkungsorientierung bei der Haushaltsführung eingeführt. Beide Anlässe führten zur Weiterentwicklung und Umsetzung von Gender Mainstreaming und zeigen sich auf folgenden Ebenen:

Strukturelle Ebene

  • Die FFG wird von einer Doppelspitze, einer Frau und einem Mann, geleitet. Aktuell sind 59% der aktiven Mitarbeiter_innen in der FFG weiblich. Im Expert_innen-Berufsbild, dem größten Berufsbild in der FFG, liegt der Frauenanteil bei 54 %, auf Ebene der Führungskräfte bei 42%. (Stichtag: 30. September 2013).
  • Die Geschäftsführung setzte eine Genderankergruppe mit Mitarbeiter_innen aus allen Bereichen ein, die bei der Strategieabteilung der FFG angesiedelt ist. Die Genderankerpersonen stellen sich als Brücke für die Entwicklung, Verbreitung und Reflexion von Gender Mainstreaming in der FFG zur Verfügung. Die Genderankergruppe fungiert als Beratungs- und Entwicklungsnetzwerk für alle Fragen zur Umsetzung von Gender Mainstreaming in der FFG.
  • Die Chancengleichheit von Frauen und Männern wurde im Leitbild verankert.

Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung innerhalb der FFG; Kompetenz für die Forschungsförderung

  • Basisschulungen für alle Mitarbeiter_innen, sodass alle FFG-Kolleg_innen wissen, was Gender Mainstreaming bedeutet.
  • Vertiefende Schulungen (Genderkompetenztrainings) für alle interessierten Mitarbeiter_innen und für jene, für deren Tätigkeitsbereich Genderkompetenz besonders erforderlich ist.
  • In der "Welcome Mappe" für neue Mitarbeiter_innen werden Informationen zu Gender Mainstreaming in der FFG bereitgestellt.
  • Im Intranet wurde ein eigener Bereich mit Informationen zu Gender Mainstreaming im Allgemeinen und zu allen Gender-Mainstreaming-Aktivitäten der FFG eingerichtet.
  • Externe Gender-Mainstreaming-Beratung wurde für konkrete Projekte und Aufgaben in der FFG in Bezug auf das Management von Forschungsförderung hinzugezogen.
  • Leitfäden für gendersensible Sprache und Veranstaltungsplanung sowie Informationsmaterial für Antragsteller_innen und Juror_innen wurden entwickelt und bereitgestellt.

Gender Mainstreaming in der Forschungsförderung

Dem EU-Diskurs zu Gender Mainstreaming in der Forschung folgend fokussiert die FFG in Bezug auf Gender in der Forschungsförderung auf die beiden Schwerpunkte Content & Participation. Damit soll gewährleistet werden, dass Genderaspekte, wo in einem Forschungsprojekt relevant, auch entsprechend erforscht werden und es zu einer gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern in der Forschung kommt - alle klugen Köpfe sollen in der Forschung ihren Platz haben. Die dahinterstehende Grundhaltung ist: Gendersensible Forschung kann zur Exzellenz und zu den Erfolgschancen der Projekte beitragen.

 

  • 2009 hat die FFG daher begonnen, Genderkriterien im Auswahlverfahren der Anträge zu verankern. Sie kommen seit 2011 beinahe flächendeckend zur Anwendung. Das bedeutet, dass Antragsteller_innen Angaben zu den Genderaspekten ihrer Forschungsprojekte, zur Zusammensetzung des Forschungsteams und zum Kund_innennutzen machen müssen. Genderaspekte werden damit zum Bewertungskriterium für die Forschungsförderung.
  • Gender Monitoring: Seit 2013 wird nicht nur erhoben, wie viele Frauen und Männer in welchen Funktionen in Forschungsprojekten geplant sind, sondern auch wie die Teamzusammensetzung während der Laufzeit bis zum Abschluss der Projekte ist.

 

Zudem bietet die FFG eigene Programme zur Förderung von Chancengleichheit und Frauenförderung an. So zum Beispiel "Talente" und "w-fFORTE" zur Förderung von Frauen in Forschung und Technologie und zur Schaffung von Chancengleichheit. w-fFORTE - Wirtschaftsimpulse von Frauen in Forschung und Technologie - wickelt das Impulsprogramm "Laura Bassi Centres of Expertise" mit ihren acht wirtschaftsnahen Forschungseinrichtungen ab. w-fFORTE legt auch einen Fokus darauf, zu verstehen, welche unterschiedlichen Kulturen in Forschungseinrichtungen bestehen und unter welchen vielfältigen Herausforderungen daher Forschende dort arbeiten. Das Programm vergibt Studien rund um die Themen Forschungskultur und Karriere in Forschung und Technologie, stellt die Ergebnisse gezielt der Forschungsgemeinschaft zur Verfügung und veranstaltet Workshops zu Karrierestrategien für Frauen.

Mainstreaming Gender into the Policies and the Programmes of the Institutions of European Union and EU Member States

Diese Publikation stellt Herangehensweisen des European Institute for Gender Equality (EIGE) vor, wie Good-Practice-Prozesse im Kontext von Gender Mainstreaming gesammelt, systematisiert und verbreitet werden können. Erstellt wurde diese Publikation von EIGE's Thematic Network on Gender Mainstreaming, Teilnehmer_innen des Expert_innenforums und Mitarbeiter_innen von EIGE. Sie basiert auf der zweiten Ex-ante-Evaluation "Study on the use of 'good practice' as a tool for mainstreaming gender into the policies and programmes of the institutions of the European Union and EU Member States". Die Erhebung und Verbreitung von Good-Practice-Prozessen zielt darauf ab, die Implementierung von Gender-Mainstreaming-Strategien zur Unterstützung von Gleichstellungspolitik zu stärken.


Die Publikation beinhaltet eine Definition von Good Practice in Gendertrainings und stellt Kriterien dafür vor. Des Weiteren werden sechs Good-Practice-Beispiele von Gendertrainings in der EU präsentiert.

Weitere Informationen

Weiterführende Links

Quellen

  • Interview mit der Leiterin der Genderankergruppe und der Leiterin der Personalentwicklung der FFG am 4. Oktober 2013.

 

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