Diversitätsmanagement in der Erwachsenenbildung

Surur Abdul-Hussain und Roswitha Hofmann (2013)

Im Sinne eines ganzheitlich-systemischen und systemisch-umweltorientierten Ansatzes muss diversitysensible und inklusive Erwachsenenbildung auf der organisational-strukturellen, der sozial-interaktiven und der personal-individuellen Ebene ansetzen. Ziel ist es, dass alle Menschen an Bildung teilnehmen können, die Bildungsangebote in Anspruch nehmen wollen. Dafür ist es notwendig, soziale, formale und strukturelle Barrieren abzubauen. Im Idealfall fühlen sich alle potenziellen Teilnehmer_innen eingeladen und finden die für sie optimalen Lernbedingungen vor - unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Hautfarbe, ihrem Alter, ihrer Ethnizität oder Nationalität, ihrer Behinderungen und Beeinträchtigungen, ihrer sexuellen Orientierungen und/oder ihrer Religion oder Weltanschauung.

 

Organisational-strukturelle Inklusion

Auf der organisational-strukturellen Ebene gilt es, ein fundiertes Diversitätsmanagement als ganzheitlich-systemisch-umweltorientiert angelegtes Konzept anzuwenden. Welcher konkrete Weg dafür beschritten wird, welche Maßnahmen zielführend sind und welches Diversitätsverständnis hilfreich ist, hängt von der speziellen Erwachsenenbildungseinrichtung ab. Das Konzept sollte Parameter wie die Größe der Organisation, die regionale Verortung, historische Aspekte, die aktuelle Situation, die Angebote und die Organisationskultur berücksichtigen. Im Folgenden werden mögliche Maßnahmen entsprechend ihrer groben Zielsetzung aufgelistet.


Diversitätssensible und inklusive Organisationen bauen eine diversitätssensible und inklusive Organisationskultur auf,

 

  • in der sich alle Mitarbeiter_innen, Lehrenden und Lernenden eingeladen und angenommen fühlen,
  • die allen ein Gefühl der Zugehörigkeit vermittelt und es allen ermöglicht, gut vernetzt zu sein.
  • in der alle in ihrer Vielfalt anerkannt werden und partizipierender Teil der Organisation sind, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Hautfarbe, ihrem Alter, ihrer Ethnizität oder Nationalität, ihrer Behinderungen und Beeinträchtigungen, ihrer sexuellen Orientierung und/oder ihrer Religion oder Weltanschauung.


Wesentlich ist auch die Einführung eines fundierten Diversitätsmanagements als ganzheitlich-systemisches bzw. systemisch-umweltorientiertes Konzept mit einer klaren Zielsetzung für alle Organisationsebenen und -bereiche. Dafür ist ein bewusstes und reflektiertes Diversitätsverständnis notwendig, das an die Organisationssprache anschließt und gut in die Organisation aufgenommen werden kann.


Zudem gilt es, Diversitätssensibilität und Inklusion strukturell zu verankern:

 

  • Diversität & Inklusion als Verantwortungsbereich der Führung
  • Diversitätsbeauftragte, Diversitätsabteilung und Diversity Boards (Gremium) in Beratungsfunktion
  • Fundierte Analyse in Bezug auf Diversitäts- und Inklusionsaspekte in der Organisation und deren regelmäßige Evaluation
  • Zusammenführung bestehender Ansätze in der Organisation, wie zum Beispiel Gender Mainstreaming, interkulturelle Ansätze, Barrierefreiheit usw., zugunsten sozialer Inklusion und Chancengleichheit
  • Entwicklung eines Leitbildes und Implementierung desselben
  • Diversitätssensible Personalentwicklung (alle sind in ihrem Verantwortungsbereich diversitätskompetent) und diversitätssensibles Personalmanagement (transparente Karriereverläufe, antidiskriminatorische Einstellungsverfahren, antidiskriminatorische Betriebsvereinbarung)
  • Repräsentation von Vielfalt in der Belegschaft auf allen Ebenen
  • Diversitätssensibilität und Inklusion als Qualitätsaspekte, die in das bestehende Qualitätsmanagementsystem integriert sind
  • Bildung von Fokusgruppen zur Vernetzung und zur Erhebung von Anliegen und Bedürfnissen
  • Diversitätssensible und inklusive Angebotsentwicklung (bedürfnisorientierte Angebote für alle, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Hautfarbe, ihrem Alter, ihrer Ethnizität, ihrer Behinderungen und Beeinträchtigungen, ihrer sexuellen Orientierung und/oder ihrer Religion oder Weltanschauung, statt räumlich getrennter zielgruppenspezifischer Angebote)
  • Diversitätssensible und inklusive Informationen über die Angebote in gendersensibler und diskriminierungsfreier Sprache
  • Analyse zu den bestehenden räumlichen, sprachlichen, formalen und sozialen Barrieren und deren Abbau, sodass alle potenziellen Teilnehmer_innen Zugang zu ihren gewünschten Bildungsangeboten haben, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Hautfarbe, ihrem Alter, ihrer Ethnizität, ihrer Behinderungen und Beeinträchtigungen, ihrer sexuellen Orientierung und/oder ihrer Religion oder Weltanschauung
  • Häuser, Bildungs- und Lehrräume und die Zugänge dazu architektonisch barrierefrei gestalten: rollstuhlfähig, akustische Signale, Blindenleitsystem, gut sicht- und lesbare Beschilderung in mehreren Sprachen, Induktionsanlagen …
  • Lernhilfen anbieten, wie zum Beispiel Lerncoaching, Lernbegleitung, Lernen Lernen, Lernkurse, Vorbereitungskurse, Buddys im Kurs, Assistenz, bedürfnisgerechte Unterlagen und Medien …
  • Mehrsprachige Informationen, Kurse, Unterlagen, Lernhilfen …
  • informelle Lernwege anerkennen und alternative Zugangsmöglichkeiten öffnen

Soziokulturell-interaktive Inklusion

Laut Erwachsenen- und Weiterbildungsforschung beteiligen sich vor allem Frauen und Männer mittleren Alters mit höherer Schulbildung und gesicherten, verantwortungsvollen Berufspositionen an Weiterbildung (Wittpoth 2011). Mit steigendem Alter stagniert die Bildungsbeteiligung deutlich. Bei der soziokulturellen Inklusion sind aber nicht nur demografische Faktoren von Bedeutung. Auch Kontextfaktoren, welche die Einstellungen und Normen bezüglich Weiterbildung beeinflussen, müssen in Betracht gezogen werden. Dazu gehören die regionale Verortung und die Erreichbarkeit der Erwachsenenbildungseinrichtung, soziales Kapital im Sinne der Zugehörigkeit, der Kooperation und der wechselseitigen Unterstützung, soziale Welten wie Vereine, berufliche Kontexte oder Cliquen, die Familie, die berufliche Situation und der Betrieb (Wittpoth 2011).


Möchte Erwachsenenbildung soziokulturell diversitätssensibel und inklusiv sein, gilt es, neue Wege der Kommunikation und Einbindung zu gehen.
Im Folgenden werden Möglichkeiten aufgezeigt:

 

  • Themenorientierung und reflektierte, differenzierte Zielgruppenorientierung: Auf diese Weise können Menschen mit unterschiedlichsten Positionen und Zugehörigkeiten anhand ihrer Interessen zusammenfinden. Es entstehen vielfältige Gruppenkonstellationen. So wird es möglich, marginalisierte Menschen sozial zu inkludieren und soziale Netzwerke aufzubauen.
  • Kooperation mit Communitys aus den Empowermentbewegungen im Umfeld der Organisation, um so möglichst viele potenzielle Teilnehmer_innen zu erreichen
  • Kooperation mit Verbänden und NGOs
  • Neue Wege in der Information über Angebote beschreiten: Mehrsprachigkeit, barrierefreie Informationen, nicht nur Medien, sondern auch persönliche Ansprache und Einladungen

Personal-individuelle Inklusion

Personal-individuelle Inklusion bedeutet, dass diversitätssensible und inklusive Erwachsenenbildung auch Menschenbildung sein soll. Gemeint ist damit die Möglichkeit der persönlichen Entwicklung und Entfaltung, zu Empowerment und selbstbestimmtem Leben, und zwar unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Alter, Ethnizität, Behinderungen und Beeinträchtigungen, sexueller Orientierung und Religion oder Weltanschauung.


In diesem Sinne könnte Erwachsenen- und Weiterbildung

  • als Chance für sinngebende und identitätsfördernde Beziehungen, Mitbestimmung, Wahlfreiheit und Freiwilligkeit dienen;
  • die Autonomie und Selbstbestimmung der Teilnehmer_innen erhöhen;
  • ein Kontext sein, in dem Teilnehmer_innen ihre Interessen selbstverantwortlich und selbstbestimmt vertreten und den Lernprozess gestalten;
  • das Selbstbewusstsein stärken und die Handlungskompetenz erweitern;
  • Selbstvertrauen und Empowerment fördern und unterstützen.

Didaktische Inklusion

Die didaktische Inklusion fokussiert auf das Lerngeschehen im konkreten Kurs oder Seminar. Ziel ist es, dass alle Teilnehmer_innen am Lerngeschehen teilhaben und es mitgestalten können, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Hautfarbe, ihrem Alter, ihrer Ethnizität, ihrer Behinderungen und Beeinträchtigungen, ihrer sexuellen Orientierung und ihrer Religion oder Weltanschauung.


Dabei kann auf folgende Aspekte geachtet werden:

 

  • Die Hauptaufgabe in der diversitätssensiblen und inklusiven Didaktik ist es, eine einladende, wohlwollende und angstfreie Lernatmosphäre herzustellen. Auf diese Weise kann eine gute Arbeitsbeziehung entstehen. Alle Teilnehmer_innen sollen darin unterstützt werden, ihre Bedürfnisse und Anliegen einzubringen.
  • Das konkrete Lernsetting soll so geplant und konzipiert sein, dass es am Sozialraum und an der Lebenswelt der Teilnehmer_innen orientiert ist. Die Ressourcen der Teilnehmer_innen werden wertgeschätzt und einbezogen. Dafür sind vor allem interaktive und erlebniszentrierte Methoden sowie kreative Techniken hilfreich.
  • Alle Teilnehmer_innen sollen am Lerngeschehen teilhaben und es mitgestalten können. So sind zum Beispiel Methoden zu wählen, die individuelle Lernwege und -tempi ermöglichen. Darüber hinaus sollten gegebenenfalls Lernhilfen, unterschiedliche Medien oder auch persönliche Assistenz zur Verfügung gestellt werden.
  • Gudrun Perko und Leah Carola Czollek (2008) sehen den Lehr- und Bildungsraum als reduzierte Spiegelung der Gesellschaft an. Sie integrieren in ihr Lernsetting daher Reflexionsprozesse über gesellschaftlich gesetzte Differenzen und deren Auswirkungen. Sie fordern dazu auf, Doing-Difference-Prozesse zu reflektieren und einflussnehmende Intersektionalitäten zu berücksichtigen. Darüber hinaus sollen die Teilnehmer_innen in ihrer Selbstreflexion unterstützt werden. Dafür ist es wichtig, Gender- und Diversitätsaspekte in die Themenstellung und -aufbereitung zu inkludieren. Partizipative und individuell nutzbare Methoden (kognitiv-affektiv-körperbezogen) unterstützen den Lernprozess. Barrierefreie Medien ermöglichen die Teilhabe aller. Dieses Vorgehen setzt eine fundierte Gender- und Diversitykompetenz der Lehrenden und Trainer_innen voraus.
  • Vielfalt soll in Lehr- und Lernprozessen berücksichtigt, aber nicht stereotyp fortgeschrieben werden.
  • Diversitätssensible und inklusive Didaktik erfordert eine gender- und diversitätssensible sowie barrierefreie/leichte Sprache und Bildsprache im gesamten Lerngeschehen auf allen Ebenen (Kommunikation, Handouts, Skripten, eingesetzte Medien …).
  • In der diversitätssensiblen und inklusiven Didaktik sind Lehrende und Trainer_innen besonders in ihrer Funktion als Role Models gefragt. Denn sie sind es, die eine diversitätssensible Kultur vermitteln und vorleben können.

 

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Weitere Informationen

Links

Quellen

  • Egger-Subotitsch, Andrea/Fellinger-Fritz, Alfred/Meirer, Monika/Steiner, Karin/Voglhofer, Margit (2011): Praxishandbuch Train-the-Trainer-Methoden in der Berufs- und Arbeitsmarktorientierung. Wien: AMS-Österreich. »Link
  • Fellinger-Fritz, Alfred (2011): Diversity-Kompetenz von Trainer_innen. In: Egger-Subotitsch, Andrea/ Fellinger-Fritz, Alfred/Meirer, Monika/Steiner, Karin/Voglhofer, Margit: Praxishandbuch Train-the-Trainer-Methoden in der Berufs- und Arbeitsmarktorientierung. Wien: AMS-Österreich, S. 53-71. »Link
  • Heimlich, Ulrich/Behr, Isabel (2011): Inklusion von Menschen mit Behinderung in der Erwachsenenbildung/Weiterbildung. In: Tippelt, Rudolf/ Hippel, Aiga von (Hg.): Handbuch Erwachsenenbildung/Weiterbildung. 5. Auflage. Wiesbaden: VS-Verlag, S. 813-826.
  • Tschenett, Roswitha (2008): Warum - Wozu - Was meint Gender- und Diversitätskompetenz im Bereich Ausbildung. In: Appiano-Kugler, Iris/Kogoj, Traude (Hg.): Going Gender and Diversity. Ein Arbeitsbuch. Wien: facultas.wuv, S. 99-112.
  • Perko, Gudrun/Czollek, Leah Carola (2008): Gender und Diversity gerechte Didaktik: ein intersektionaler Ansatz. In: Magazin erwachsenenbildung.at: Gender und Erwachsenenbildung - Zugänge, Analysen und Maßnahmen, 3, S. 07-1-07-25. »Link
  • Wittpoth, Jürgen (2011): Beteiligungsregulation in der Weiterbildung. In: Tippelt, Rudolf/Hippel, Aiga von (Hg.): Handbuch Erwachsenenbildung/Weiterbildung. 5. Auflage. Wiesbaden: VS-Verlag, S. 771-788.