Für diesen Spagat bedarf es mehr als zwei Beine

06.05.2016, Text: Barbara Haider und Stefanie Günes-Herzog, Redaktion: Stefanie Günes-Herzog, lernraum.wien / Netzwerk MIKA
Sind Ehrenamtliche, die Geflüchteten Deutsch beibringen möchten, DeutschlehrerInnen? Oder doch LernbegleiterInnen, Lern-Buddies oder MentorInnen? (Serie: Erwachsenenbildung in der Migrationsgesellschaft)
Geflüchtete haben ein Recht, Unterstützung beim Deutschlernen zu bekommen
Foto: Stefanie Günes-Herzog
Nicht zuletzt dieses Ringen um einen adäquaten Begriff spiegelt das Dilemma wider, in dem sich aktuell Ausbildungsstätten für Deutsch als Zweitsprache/Fremdsprache (DaZ/F)-Lehrkräfte und TrainerInnen im Bereich der Alphabetisierung/Basisbildung befinden.

 

Professionalisierung gegenüber akutem Bedarf an Lehrenden

Universitäten, Pädagogische Hochschulen und Erwachsenenbildungsorganisationen, die sich um die lang erkämpfte Qualifizierung und Professionalisierung von DaZ-, aber auch Alphabetisierungs-/Basisbildungs-LehrerInnen kümmern, sehen sich einer großen Nachfrage gegenüber, Personen, die mit Geflüchteten Deutsch lernen möchten, in möglichst rascher und kompakter Weise zu unterstützen. Gleichzeitig können und sollen "Crash-Kurse" keine fundierte Ausbildung ersetzen und damit einer "Dequalifizierung" eines ganzen Berufsstands Vorschub leisten, wie auch Inci Dirim (Interview vom 13.1.2016) und Hans-Jürgen Krumm von der Universität Wien betonen. Krumm dazu: "Es geht nicht darum, Methodik in Schmalspurversion an Nichtlehrkräfte weiterzugeben; von denjenigen, die hier Unterstützung anbieten, ist zu verlangen, dass sie den Flüchtlingshelfern nicht das in Kurzversion weitergeben, was sie in der normalen Lehrerausbildung schon auf Lager haben".


Doch diese Grenze zwischen Unterricht und Unterstützung ist nicht leicht zu ziehen. Auch die VHS Wien, die seit mittlerweile über 20 Jahren Ausbildungen für SprachkursleiterInnen und seit 2002 Lehrgänge für Alphabetisierungs-/BasisbildungstrainerInnen anbietet, wurde mit Nachfragen und Erwartungen von Ehrenamtlichen und NGOs konfrontiert.

 

Ein schwerer Rucksack für Ehrenamtliche
Vor allem im Bereich Alphabetisierung/Basisbildung stehen nämlich sowohl Ehrenamtliche als auch Bildungsinstitutionen großen Herausforderungen gegenüber. Denn viele der Geflüchteten haben Alphabetisierungs- bzw. Zweitschriftlernbedarf und die Plätze in den Alphabetisierungskursen sind ebenso rar, wie die in den DaZ-Kursen. Dazu kommt, dass es für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge kaum reguläre Alphabetisierungsangebote gibt. Menschen mit Alphabetisierungs-/Basisbildungsbedarf das lateinische Alphabet beizubringen reicht nicht aus, um sie für die sogenannte Wissensgesellschaft, in der sie zukünftig leben wollen/sollen/müssen, fit zu machen. Können Ehrenamtliche einen solch schweren Rucksack, in dem sich neben den Schwierigkeiten einer angemessenen Sprachvermittlung, sozialarbeiterische Hürden und der Umgang mit Flucht und Trauma finden, (alleine) tragen?

Pilotworkshop für ehrenamtliche LernpartnerInnen      
In einem Pilotworkshop an der VHS Wien Anfang 2016 wurde versucht, Ehrenamtliche bestmöglich in ihrer Arbeit zu unterstützen. Der Workshop fand in Kooperation mit dem Diakonie Flüchtlingsdienst statt und wandte sich an Personen ohne "Vorkenntnisse" in der Sprachvermittlung.


Der Begriff "LernpartnerInnen" wurde sehr bewusst gewählt. Einerseits, um nicht die falschen Erwartungen zu wecken, dass man hier in knapp zweieinhalb Tagen zur/zum DaZ-LehrerIn ausgebildet würde, andererseits, um die ehrenamtlich tätigen Personen in ihrer Rolle zu entlasten: Sie tragen nicht die Verantwortung, einen professionellen Deutschkurs zu planen und durchzuführen, sondern Geflüchtete zu begleiten und als Ansprechperson und wichtiger "Sprachkontakt" zur Verfügung zu stehen.


Der Workshop bestand aus drei Komponenten, die inhaltlich verschränkt diskutiert und von ExpertInnen aus den jeweiligen Bereichen geleitet wurden: sprachbezogene Arbeit, sozialarbeiterische Aspekte sowie Flucht und Trauma. Im Zentrum stand dabei immer die Reflexion der eigenen Rolle als Ehrenamtliche.


Sprachbezogene Arbeit: "Ausprobieren können war sehr hilfreich!"
Da ein wesentlicher Aspekt der Arbeit als LernpartnerInnen die sprachliche Unterstützung der Flüchtlinge darstellt, wurden Prinzipien und Inhalte der (v.a. mündlichen) Sprachvermittlung thematisiert, beginnend bei allgemeinen Informationen zum Spracherwerb, warum was wie funktioniert: beispielsweise warum "Fehler" ganz wichtige Etappen im Sprachlernprozess darstellen. Wichtig war dabei auch die Auseinandersetzung mit der Frage, wer die Lernenden überhaupt sind, was sie brauchen (könnten) und wie ein erwachsenengerechter Zugang zum Lernen aussehen könnte.


Exemplarisch konnten die TeilnehmerInnen einige Übungen aus dem DaZ-Unterricht selbst ausprobieren, wobei hier v.a. der "Selbstversuch" eine wichtige Rolle spielte. Und genau diesen persönlichen Raum fürs Ausprobieren, Üben, Wiederholen anzubieten, authentische Gesprächssituationen mit jemandem, die/der in Österreich lebt zu schaffen, ein Austausch auf Augenhöhe sind enorm wertvolle Beiträge in der Arbeit mit Geflüchteten.

Sozialarbeiterische Arbeit: "Wie viel ist genug?"
Ein ganz zentrales Thema für die TeilnehmerInnen im Workshop war jenes der persönlichen Abgrenzung: "Wie viel Unterstützung ist gut? Auch finanziell?", "Wie gehe ich mit den Erzählungen von Krieg und Flucht um?", "Wie kann ich die Flüchtlinge in negativen Situationen unterstützen? Psychische Belastung im Asylverfahren, nicht bestandene Prüfung etc.?" Diese und zahlreiche andere Fragen wurden gemeinsam mit Hilfe eines erfahrenen Sozialarbeiters besprochen und reflektiert.

Auch die Wichtigkeit der institutionellen Anbindung der Ehrenamtlichen wurde sehr deutlich, da sie dadurch auf ein professionelles Netzwerk, eine Stützstruktur und Betreuung zurückgreifen und die geflüchteten Menschen direkt an Stellen verweisen können, die ihnen professionell weiterhelfen.

Flucht und Trauma: "Endlich Klarheit bezüglich der Terminologie!"
In der Einheit Traumapädagogik wurden Grundinformationen über das Thema Flucht und Traumatisierung vermittelt. Ein Austausch über extrem berührende, belastende, tragische Geschichten und das Sammeln von möglichen Reaktionsmöglichkeiten in schwierigen Situationen wurden als sehr hilfreich erlebt.


Nicht zuletzt hier war auch wieder die Kooperation mit dem Diakonie Flüchtlingsdienst von großer Bedeutung, der eine persönliche Abgrenzung (zumindest etwas) erleichtert.

Ein Dilemma als Chance?
Es ist und bleibt ein Spagat zwischen der Forderung nach dem Einsatz von professionellen DaZ-Lehrkräften und der Unterstützung von Ehrenamtlichen. Die aktuelle Situation rückt dabei - wieder einmal - einen prekarisierten Berufsstand in den Blick, der seit Langem um Anerkennung und entsprechende Absicherung kämpft (siehe dazu z.B. die aktuelle Stellungnahme des Österreichischen Verbandes für Deutsch als Fremdsprache/Zweitsprache zu den Lehr- und Lernbedingungen in AMS-Deutschkursen vom 19.4.2016).

 

Wichtig dabei ist, diesen Kampf zwischen verständlichen und gerechtfertigten Positionen nicht auf den Rücken jener auszutragen, die am wenigsten dafür können. Denn Geflüchtete haben ein Recht, Unterstützung beim Deutschlernen zu bekommen - je früher desto besser. Umso wichtiger sind positive Erfahrungen und Erfolgsmomente beim Lernen, das Gefühl, "Ja, ich kann das schaffen!", um die Motivation für einen längerfristigen Lernprozess aufrecht zu erhalten. Dabei wird etwa vom Österreichischen Verband für Fremdsprache/Zweitsporache betont - und auch die Erfahrung zeigt -, dass die sprachliche Förderung der Schutzsuchenden langfristig nicht durch ehrenamtliches Engagement erfolgen kann.


Dieses Engagement kann natürlich auch zum Wunsch nach Qualifizierung führen, was man am Anstieg an TeilnehmerInnen, die ehrenamtlich mit Geflüchteten arbeiten, in Ausbildungen - z.B. im Lehrgang für SprachkursleiterInnen an der VHS Wien merkt. Auch in den Lehrgängen Alphabetisierung/Basisbildung mit Erwachsenen des AlfaZentrum und den Weiterbildungen, die von den MIKA-NetzwerkpartnerInnen angeboten werden, ist die Liste der InteressentInnen, aus den Reihen ehrenamtlich Engagierter, deutlich länger geworden.

Die große Nachfrage nach Deutschkursen - parallel zu den wertvollen Unterstützungsmaßnahmen durch Ehrenamtliche - könnte und sollte jedenfalls eine Chance sein, die Situation von DaZ-/Alphabetisierungs-/Basisbildungs-Lehrkräften in der Erwachsenenbildung zu verbessern.

Serie: Erwachsenenbildung in der Migrationsgesellschaft
Integrationskurse und Spracherwerb mögen ein Anfang sein. Doch wenn es um den sozialen Wandel geht, der mit Zuwanderung verbunden ist, sind die Menschen mit Migrationserfahrung nur eine der Zielgruppen von Erwachsenenbildung. Die Anforderungen der Migrationsgesellschaft betreffen uns alle. Fragen nach Teilhabe, Verständigung und Zusammenleben stellen sich immer wieder neu. Wie Erwachsenenbildung diese Anforderungen beschreibt, reflektiert und deutet, und welche Angebote für Lernen und Bildung sie ihnen entgegen bringt, ist Gegenstand einer Serie von Artikeln auf erwachsenenbildung.at. Alle Beiträge in der Serie finden Sie hier.

Weitere Informationen:

 

Die Langfassung dieses Beitrags finden Sie auf der Website des lernraum Wien.

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