Portfolios als produktive Selbsterkundung

23.01.2015, Text: Thomas Blattl, Online-Redaktion
Birgt das Kompetenz-Portfolio für Freiwilligenarbeit aus bildungstheoretischer Sicht überwiegend Chancen, oder auch Risiken? Julietta Adorno ist der Frage nachgegangen.
Aus Puzzlesteinen ihrer Kompetenz setzen Freiwillige ihr Portfolio zusammen
Foto: (C) iStockphoto.com/Rinelle, redaktionell bearbeitet
Julietta Adorno beschäftigt sich in ihrer wissenschaftlichen Abschlussarbeit an der Johannes Kepler Universität Linz (betreut von Prof. Carola Iller) mit Chancen und Risiken der Kompetenzbilanzierung am Beispiel des Kompetenz-Portfolios für Freiwilligenarbeit des Rings Österreichischer Bildungswerke. Sie betrachtet dabei das Portfolio aus einer bildungs- und gesellschaftspolitischen Perspektive und legt dabei den Fokus auf den Lernort Freiwilligenengagement. Führt das Kompetenz-Portfolio des Rings Österreichischer Bildungswerke zu einer Verschiebung von der citizenship-Perspektive zur employability-Perspektive auf das Freiwilligenengagement? - so lautet die Forschungsfrage ihrer Masterarbeit.

Fazit: Es braucht kompetenz- und lernorientierte Bildungsangebote
Zentral zur Beantwortung von Adornos Forschungsfrage sind zwei Begriffe: Lebenslanges Lernen und Kompetenz. Beide Begriffe können, so die Autorin, unter Berücksichtigung von "wahrer" Bildung und "nützlicher" Bildung unterschiedlich ausgelegt werden. "Wahre" Bildung im Sinne von Humboldt als zweckfreie, möglichst universelle Bildung und "nützliche" Bildung als zweckgebundene, spezielle Bildung. Zum Beispiel kann lebenslanges Lernen als Notwendigkeit für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit und andererseits als Mittel zu Chancengleichheit gesehen werden. Letztendlich bleibe festzuhalten, so die Autorin, dass nicht primär Lernergebnissen gemessen, sondern viele kompetenz- und lernorientierte Bildungsangebote geschaffen werden sollten.

 

Adorno gelangt auf Basis ihrer Untersuchung zu dem Fazit, dass das Kompetenz-Portfolio große Chancen für die Verknüpfung beider Bildungsverständnisse biete. So ermitteln die Freiwilligen durch den Prozess der Portfolio-Erstellung, welche Kompetenzen sie auf informellem Weg erlernt haben und inwiefern sie diese auch für ihre Bewerbung am Arbeitsmarkt nutzen können. Dies stelle eine Gelegenheit der produktiven Selbsterkundung bereit, die ansonsten kaum angeboten wird, so Adorno. Außerdem bilde dieses Vorgehen eine wichtige Form der Anerkennung und Honorierung der Arbeit von Freiwilligen. Gleichzeitig könne die Portfolio-Erstellung - verstanden als pädagogische Situation - den Raum eröffnen, den aktuellen Bildungsdiskurs zu thematisieren und das Risiko einer versteckten Zurichtung von Bildung auf ihre Verwertbarkeit aufzuzeigen.

 

Die Teilnehmenden erfahren dadurch automatisch eine Sensibilisierung für die Gefahr einer personalen Selbstverdinglichung. "Hier kommt Bildung also in ihrem emanzipatorischen Verständnis zur Geltung" erklärt Adorno im Telefonat mit der Redaktion.

Über das Kompetenzportfolio für Freiwilligenarbeit
Das in der vorliegenden Arbeit untersuchte Kompetenz-Portfolio wird vom Ring Österreichischer Bildungswerke angeboten. Diese Erwachsenenbildungseinrichtung wird nach Adornos Darstellung vorwiegend von Freiwilligen getragen. Grundidee des Kompetenzportfolios für Freiwilligenarbeit ist, dass jene Kompetenzen, die freiwillig Tätige bei der Ausübung der Freiwilligenarbeit erwerben, sichtbar gemacht werden.

 

Der Ring Österreichischer Bildungswerke beschreibt seine Portfoliomethode als eine begleitende Selbstbewertung. Im Mittelpunkt steht ein Kompetenz-Gespräch mit einer/einem zertifizierten Portfolio-BegleiterIn. Die Ergebnisse des Gespräches werden gemeinsam ausgewertet, von den BegleiterInnen dokumentiert und letztendlich wird das Portfolio von den Freiwilligen selbst fertiggestellt.

 

Inhaltlich besteht das Portfolio aus einem persönlichen Kompetenzprofil, dem Tätigkeitsportrait sowie einem Aktionsplan. Das persönliche Kompetenzprofil beinhaltet, wo und wie die Kompetenzen erworbenen oder weiterentwickelt wurden und wo sie zum Tragen kommen. Diese werden dann den Kompetenzbereichen fachlich-methodisch, sozial-kommunikativ oder personal zugeordnet. Das Tätigkeitsportrait beschreibt das jeweilige Engagement und der Aktionsplan beinhaltet geplante Aktivitäten wie zum Beispiel Weiterbildungsmaßnahmen.

Risiken und Chancen aufzeigen
Julietta Adorno beschreibt in Ihrer Arbeit Probleme, aber auch Möglichkeiten die im Zusammenhang mit Kompetenz-Portfolios für Freiwillige auftreten können. Problematisch sieht sie anfangs, dass die Bereiche Freiwilligenengagement und Erwerbsarbeit in den Portfolios miteinander verknüpft werden, obwohl man sie Adorno zufolge unabhängig voneinander beurteilen sollte. Dadurch entstehe die Gefahr, dass die jeweils charakteristischen Eigenschaften der beiden Bereiche nicht beibehalten werden.

 

Im Zuge Ihrer Auseinandersetzung mit dem Kompetenz-Portfolio zeigte sich jedoch, so Adorno, dass gerade der Portfolioprozess diese Problematik verringern könne. Es sei ein Vorteil, dass eine Verknüpfung dieser Bereiche gemacht wird. Positiv sieht sie auch die Besonderheit des Lernumfeldes in der Freiwilligenarbeit.

Lebenslanges Lernen, Kompetenz und Bildung als zentrale Begriffe
Um das Kompetenzportfolio aus bildungs- und gesellschaftlicher Perspektive betrachten zu können, setzt sich Julietta Adorno in ihrer Arbeit des weiteren mit den Begriffen Lebenslanges Lernen, Kompetenz und Bildung auseinander.

 

Lebenslanges Lernen definiert sie dabei als permanente Weiterbildung über die gesamte Lebensspanne hinweg unter Einbeziehung sämtlicher Lebensbereiche. Dabei gibt sie nicht nur einen Überblick, sondern übt auch Kritik an Konzept und Programmatik des Lebenslangen Lernens.

 

Für die Darstellung des Kompetenzbegriffs arbeitet sie mit unterschiedlichen Definitionen. Zudem typisiert sie Kompetenzbilanzierungsverfahren und erläutert verschiedene Kompetenzdiskurse.

 

Dem Begriff Bildung nähert sich Adorno schließlich über ausgewählte Aspekte aus den Bildungstheorien von Theodor W. Adorno und Wilhelm von Humboldt. Damit kommt sie zu einem traditionellen, humanistischen Bildungsverständnis.

Methodisches Vorgehen und Erkenntnisinteresse
In der Arbeit wurde das Kompetenz-Portfolio in den Kontext aktueller Bildungsdebatten eingeordnet. Dabei wurden die beiden pädagogischen Konzepte Lebenslanges Lernen und Kompetenz anhand wissenschaftlicher Beiträge und hinsichtlich ihrer diskursiven Verwendungsweise analysiert.

Für Julietta Adorno waren der Dualismus von "wahrer" vs. "nützlicher" Bildung und ihr eigenes Freiwilligenmanagement ausschlaggebend, um sich mit diesem Thema auseinander zu setzen. Ihr persönliches Ziel war es, im Rahmen ihrer Arbeit ein sorgfältiges Urteil darüber zu fällen, welches Bildungsverständnis dem Kompetenz-Portfolio zugrunde liegt.

 

Auch persönlich wird Adorno immer wieder nach der Zweckmäßigkeit ihrer eigenen Ausbildung gefragt. Dahinter sieht sie das Verständnis, Bildung habe den Menschen lediglich auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten. Sie selbst teilt diese Auffassung nicht. So erfüllt Bildung für sie insbesondere die Funktion, den Menschen zur Emanzipation zu befähigen. Gleichzeitig bedeutet dies aber nicht, dass sie Bildung im Sinne von Berufsbildung ablehne.

 

Mit in die Fragestellung eingegangen ist Adornos eigenes Freiwilligenengagement und dabei erworbene Lernerfahrungen. Dadurch kam das Interesse zur Entwicklung eines Instruments zur Anerkennung des Freiwilligenengagements als Ort des Lernens zu stande.

 

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