Tiroler Geschichte mit neuen Augen sehen

26.11.2014, Text: Michaela Habetseder, Salzburger Bildungswerk/Ring ÖBW
Projekt "Erinnerungskulturen" schafft Bewusstsein über die Geschichte der Arbeitsmigration nach Tirol.
Mit Gegenständen und Bildern aus der Vergangenheit zum Erzählen anregen
Foto: (C) ZeMit
In Innsbruck, Jenbach und Fulpmes wurde 2014 ein spezieller Aspekt der jüngeren Tiroler Geschichte in den Fokus gerückt: die Arbeitsmigration. Das Tiroler Bildungsforum arbeitet(e) dabei im Projektteam mit.

Vor rund 50 Jahren begann Österreich damit, am heimischen Arbeitsmarkt dringend benötigte Arbeitskräfte aus dem Ausland anzuwerben. Der Beitrag der Arbeitsmigration zur Entwicklung der Tiroler Städte und Gemeinden wird bisher kaum erinnert bzw. thematisiert. Mit dem Projekt "Erinnerungskulturen - Dialoge über Migration und Integration in Tirol" wurde 2014 in Innsbruck, Jenbach und Fulpmes versucht, gemeinsam mit der Bevölkerung ein Bewusstsein für diesen Teil der Tiroler Geschichte zu schaffen.

Das Zentrum für MigrantInnen in Tirol (ZeMiT) lud Partnerorganisationen ein, einen Beitrag zur Lebendig-Haltung des Wissens von ZeitzeugInnen in unserer Gesellschaft zu leisten. Neben dem Land Tirol, der Stadt Innsbruck und dem Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck ist das Tiroler Bildungsforum Teil des Projektteams. Im Mittelpunkt des Projekts standen folgende Fragen: Was erzählen ZeitzeugInnen über die Zeit ab den 1960ern, als die Arbeitsmigration nach Tirol einsetzte? Wie wurden die Veränderungen vor Ort wahrgenommen? Was ist davon in Ortschroniken und Archiven überliefert?

Erinnerungswerkstätten, Erzählcafes und Stadtspaziergänge
Als Methoden wurden Erinnerungswerkstätten, Erzählcafes und Stadtspaziergänge für die Bevölkerung entwickelt und Weiterbildungsveranstaltungen für ChronistInnen angeboten.
Gegenstände und Bilder aus der Vergangenheit weckten im Rahmen der Erinnerungswerkstätten bei Zugezogenen und damals bereits in den Gemeinden lebenden Menschen Erinnerungen und regten zum Erzählen an. Bei Erzählcafes konnte schließlich die gesamte Bevölkerung, die Interesse hatte, an den Geschichten teilhaben und eigene Erinnerungen einbringen. Dadurch entstanden neue Zugänge zur Geschichte des Ortes, an dem man lebt, und neue Perspektiven zur Gestaltung des Lebens vor Ort.

Christian Hollmey: Ein erster Schritt ist gesetzt
Christian Hollmey vom ZeMiT: "Besonders spannend war in den Erinnerungswerkstätten die Erkenntnis, dass viele der sogenannten 'Einheimischen' in gewissem Sinne auch einen persönlichen Bezug zur Migration hatten. Speziell in Jenbach stammten die BewohnerInnen schon immer aus unterschiedlichen Ländern und Regionen: 'Das waren immer schon Menschen, die hierhergekommen sind, die nach dem Krieg hier hängen geblieben sind, die Arbeit gesucht haben im Jenbacher Werk', beschrieb es eine ehemalige Gemeinderätin. Angefangen von den Zuwanderern aus Südtirol bis hin zu ArbeiterInnen aus der Steiermark oder Zuwanderern aus entlegenen Tälern Tirols prägen Menschen unterschiedlicher Herkunft den Ort. Dies spiegelte sich auch in den Erinnerungswerkstätten wieder. Die Vorstellung, die 'GastarbeiterInnen' würden für ein paar Jahre hier arbeiten und dann wieder wegziehen, hielt sich lange in den Köpfen der Menschen. Dies ist mit ein Grund, warum den Erinnerungen an die Migration bisher wenig Stellenwert in der Geschichte der Tiroler Gemeinden eingeräumt wurde."

 

Die Arbeit im Projekt habe gezeigt, so Hollmey weiter, "dass sich mit der Geschichte der Zuwanderung auseinanderzusetzen auch heißt, sich mit seiner eigenen Geschichte auseinanderzusetzen - egal, wo man geboren ist. Aus den Erinnerungen und Erzählungen der ZeitzeugInnen entstand im Projekt ‚Erinnerungskulturen' ein vielstimmiges und lebendiges Bild eines bedeutenden Teils der Geschichte von Innsbruck, Jenbach und Fulpmes. Es konnten Informationen darüber gewonnen werden, wie die Zuwanderung der ArbeitsmigrantInnen aus unterschiedlichen Perspektiven erlebt und das Zusammenleben organisiert wurde. In Folge veränderten sich auch der Ort und seine BewohnerInnen. Die Erfahrungen im Projekt zeigen, dass reichhaltige Quellen zur Geschichte der Migration in Tiroler Orten zu finden sind. Es sind die Bewohnerinnen und Bewohner dieser Orte, die diese Geschichte in sich tragen. Diese für zukünftige Generationen zu sichern, ist hoch an der Zeit. Das Projekt 'Erinnerungskulturen' hat einen ersten Schritt gesetzt, weitere werden - so ist zu hoffen - folgen." 

Migrationsgeschichte als Teil der Tiroler Ortschroniken
Das Tiroler Bildungsforum ist unter anderem Servicestelle für alle Tiroler OrtschronistInnen, die Dorfgeschichte dokumentieren. Blickt man in die örtlichen Archive, stellt man fest, dass Migrationsgeschichte kaum sichtbar ist. Für die ChronistInnen wurde durch die Einarbeitung der Thematik in das Dokumentationsprofil das Thema Migration in den Fokus gerückt. Das Sichtbarmachen Betroffener schafft bei manchen ChronistInnen eine Sensibilität, die Migrationsgeschichten künftig zu einem Kapitel der Ortschronik werden lässt.

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