Umwege verbessern die Ortskenntnis: Dagmar Heidecker im Gespräch

04.07.2014, Text: Anna Head, bifeb
D. Heidecker lässt 39 Jahre am bifeb) Revue passieren und spricht über Herausforderungen und Entwicklungen in der Erwachsenenbildung.
Dagmar Heidecker gestaltete lange Jahre die bifeb) Programmzeitschrift
Foto: (c) Anna Head
Dagmar Heidecker ist seit 1974 am Bundesinstitut für Erwachsenenbildung tätig. Sie hat die Ausbildung der ehrenamtlichen Bibliothekar/innen mitentwickelt und mitgestaltet, das Feministische Grundstudium am bifeb) begleitet und die Öffentlichkeitsarbeit vorangetrieben. Bereits lange bevor der demographische Wandel als Herausforderung für die Erwachsenenbildung erkannt wurde, waren Bildung und Alter ein wichtiges Thema für sie. Im Gespräch mit Anna Head (AH) und Christian Ocenasek (CO) blickt sie nun vor Antritt ihres Ruhestands zurück auf 39 Jahre in der Erwachsenenbildung.

CO: Nach fast 40 Jahren in der Erwachsenenbildung: Wie empfindest du die EB-Landschaft im Moment?
Die Landschaft hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Der Schwerpunkt liegt auf dem beruflich verwertbaren Wissen, aber Bildungsarbeit ist ja mehr als berufliche Qualifizierung. Neben den traditionellen EB-Verbänden ist eine starke Projektszene entstanden. Außerdem spielt sich viel Bildungsarbeit nicht im professionellen Umfeld ab, sondern viel im ehrenamtlichen, im freiwilligen Bereich. Da passiert viel mehr als man wahrnimmt. Da entstehen tolle Sachen, die oft mit Personen verbunden sind, aber wenn die Personen weg sind oder das Projekt ausläuft verschwindet das Ganze wieder.

AH: Liegt das nicht auch im Format von Projekten begründet?
Ja sicher. Ich denke da an diese Projektitits der letzten zwanzig Jahre und da kann die Nachhaltigkeit von Projekten, die ja oft durchaus angelegt wäre, nicht mehr so betrieben werden weil ich meine persönlichen Kapazitäten auf was anderes - zum Beispiel Nachfolgeprojekte - ausrichten muss.

CO: Hast du den Eindruck, dass sich die existentiellen Rahmenbedingungen für ErwachsenenbildnerInnen verschlechtert haben?
Verschlechtert kann ich nicht sagen, aber sie sind sicher auch nicht besser geworden. Die Personen, die beruflich in der EB Fuß gefasst haben sind viel mehr geworden, aber die Verhältnisse sind nicht besser geworden.

CO: Wie kann es deiner Meinung nach gelingen, sich von diesen Rahmenbedingungen zu emanzipieren und Mut, Weitblick und Kritik zu fördern?
Ich denke es liegt dann daran, welches Menschenbild ich als Erwachsenenbilder/in habe, wie ich an meine Arbeit herangehe, wie ich als Trainer/in mit Menschen umgehe, welche Methoden ich auswähle. Ich kann meinen Kurs abhalten oder ich kann ihn gestalten. Da geht es schon auch um die Haltung, und darum, Verständnis und Respekt über das reine Soll und Haben hinaus zu vermitteln. Das kann ich im Computerkurs genauso wie in einem Sinn-Suche-Kurs.

CO: Bist du mit diesem Bild von Lehrenden und Lehren in die EB gekommen oder hat sich das entwickelt?
Sagen wir so: Ich bin mit der Vorstellung in die EB gekommen, dass es eigentlich anders gehen müsste als ich es Großteils erlebt habe, ich wusste aber nicht wie es anders gehen sollte. Wir haben zum Beispiel einen Vortrag bekommen über den Einsatz von Medien – völlig ohne Medien! Und das waren solche Beispiele, wo wir überlegt haben, wie es anders gehen könnte. Da ging es um hinhören, hinterfragen, also alles was heute Standard ist. Und da haben wir überlegt, wie das in einer Veranstaltung aussehen könnte – wie kann man das für Kurse umsetzen? Was könnten die Leute eigentlich als EB brauchen?

AH: Wie schätzt du gegenwärtige Entwicklungen ein?
In manchen Bereichen habe ich das Gefühl, dass es eigentlich wieder zurück geht zu Vortrag und Diskussion. Klar - wenn man da nachfragt, ausprobiert, umsetzt, dann ist das natürlich zeitaufwändiger als wenn ich Informationen ablade. Kreativität hängt auch mit den Rahmenbedingungen zusammen.

CO: Welche Rolle spielte das bifeb in diesem Kontext?
Das bifeb bietet diesen „Zeitluxus“: es ist dieses Heraustreten aus dem Alltag, aus der Routine, wenn man sich Zeit zum Nachdenken gönnt. Und damit verändert sich dann auch der Arbeitsalltag - ich behaupte das einfach einmal so aufgrund der Rückmeldungen, die wir bekommen. Also dieses Innehalten, Leute zu treffen und über Dinge zu reden, über die ich im Berufsalltag nicht reden kann und daraus dann Ideen zu entwickeln. Das verändert dann auch wieder den Alltag, ganz egal ob es um Vernetzung, eine Programmentwicklung, eine neue Problemsicht oder Managementtechniken geht - das kann man auf den verschiedensten Ebenen anwenden. Das ist so, wie ich meine Arbeit hier auch verstanden habe.

CO: Wenn du zurückdenkst an diese fast 40 Jahre in der Erwachsenenbildung: was sind Highlights deiner Karriere?
Es war immer schön, wenn Ideen aufgegangen sind und sich ein Angebot etabliert hat. Wenn sich die Teilnehmer/innen auch mit einem Lehrgang identifiziert haben und gestärkt und selbstbewusst aus Ausbildungen hinausgegangen sind. Mir ist es auch immer ein großes Anliegen gewesen, den Transfer zu Bereichen außerhalb der Erwachsenenbildung mitzudenken – also den Transfer auf verschiedenen Ebenen und nicht nur in den Arbeitsplatz. Und da sind ein paar ganz gute Dinge gelungen.
Ein weiteres Highlight für mich war, dass ich mich bei der Neugestaltung der Programmzeitschrift vor 8 Jahren entfalten konnte. Da ging es darum Themen zu präsentieren, das Profil des bifeb zu schärfen und die vielfältigen Aufgaben und Rollen sichtbar zu machen. Außerdem ging es darum, Themen hereinzuholen. Ein Anspruch des bifeb war es immer schon Themen ins Gespräch zu bringen und die Zeitschrift ist eine wunderbare Möglichkeit das zu tun.

AH: In welchem Bereich würdest du dir wünschen, dass sich etwas tut? Wo ist Kritik notwendig bzw. was verdient mehr Beachtung?
Ich umschreibe es jetzt mal mit dem Etikett „Berufsethik“. Ich denke eine Auseinandersetzung mit Haltungs- und Wertefragen ist notwendig. Es tut mir wirklich leid, dass Veranstaltungen zu diesem Thema in der EB nicht zustande gekommen sind. Da war anscheinend damals die Zeit noch nicht reif.

AH: Als „alter Hase“: Was empfiehlst du Menschen die gerade in das Berufsfeld Erwachsenenbildung eintauchen bzw. am Beginn stehen?
Es ist ganz wichtig, sich vieles anzuschauen und viele unterschiedliche Inhalte, Formate und Personen kennen zu lernen. Ich habe eine Zeit lang eine Art Einführung in die Erwachsenenbildung gemacht und da war immer die Frage „Wie komme ich in die EB? Wie fasse ich da Fuß?“. Und da habe ich zurückgefragt, ob sie schon einmal in einer Veranstaltung der EB waren. Also nicht nur die Ausbildung abschließen, sondern auch Dinge machen, die vielleicht nicht gerade direkt zum Ziel hinführen. Man sagt ja „Umwege verbessern die Ortskenntnis“, aber ich kann nur erzählen, wie ich den Weg gefunden habe. Ich kann im Seminar und in der Ausbildung auch nur Dinge aufzeigen und sagen „schaut da hin, schaut dort hin“, denn den Weg muss jede/jeder selber gehen. Ich habe mich immer nur als Wegbegleiterin verstanden, die vielleicht einen Rucksack mit Jause und Wanderkarte und Kompass und Regenschirm und Pflaster und Wasserflasche mitgehabt hat, aber gehen muss jede/jeder selbst.

CO: Was wirst du mit der freien Zeit machen?
Ich möchte in jeder Hinsicht „in Bewegung“ sein und versuchen, alles in der Praxis anzuwenden, was ich in der Theorie über die nachberufliche Lebensphase gelernt habe – um diese Zeit bis zuletzt selbstbestimmt und gut zu gestalten.
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