Gemeinwesenmediation: Kilian Franer im Gespräch

20.06.2014, Text: Anna Head, bifeb
Neuer Diplomlehrgang „Gemeinwesenmediation“ startet im Herbst am Bundesinstitut für Erwachsenenbildung, bifeb)
Kilian Franer über (politische) Gemeinwesenmediation und Partizipation
Foto (c) Anna Head
Kilian Franer, Mediator und Bildungswissenschaftler, entwickelte den Diplomlehrgang „Gemeinwesenmediation“. Im Interview mit Anna Head spricht er über die Möglichkeiten und Grenzen von Gemeinwesenmediation, die Beteiligung von BürgerInnen in Entscheidungsprozessen und „maßgeschneiderte“ Partizipationsprozesse.

Sie leiten den Diplomlehrgang "Gemeinwesenmediation", der im Herbst am bifeb startet – wie kamen Sie zu der Idee für den Lehrgang?
Es gibt – nicht nur – in Österreich relativ viele Professionen, die Konflikte im Gemeinwesen bearbeiten: SozialarbeiterInnen, LehrerInnen, ArchitektInnen, TechnikerInnen, usw. aber auch KommunalpolitikerInnen. Leider herrscht immer noch zu viel an Amateurhaftigkeit und dabei geht einiges den Bach runter, was gar nicht notwendig wäre: Sowohl Steuergeld wie auch die Akzeptanz von Maßnahmen seitens der BürgerInnen und letztlich auch deren Vertrauen in die Politik. Mit diesem ist es ohnehin leider nicht weit her. Eine spezifische Ausbildung bestand bis dato nicht, auch nicht in anderen Mediationslehrgängen. Und das wird nicht nur von mir als große Lücke empfunden.

Ist Gemeinwesenmediation als Streitschlichtungsverfahren in Österreich allgemein bekannt und verbreitet?
Es ist bekannter als man glauben möchte – vor allem als präventive Methode. Es verbirgt sich hinter verschiedenen Ansätzen – wie zum Beispiel unter „Lokaler Agenda 21“ oder auch „Dorferneuerung“. Der Sammelbegriff Gemeinwesenmediation ist allerdings noch wenig etabliert.

Wo setzt Gemeinwesenmediation an?
Wo der Hut brennt! Spaß beiseite: Wir haben immer wieder die Erfahrung gemacht, dass im Grunde alle Beteiligten an Konflikten im öffentlichen Raum an einer friedlichen Beilegung interessiert sind. Hinter ihren Anliegen steckt häufig ein echter Leidensdruck. Und es ist schon ein bedeutender Schritt in Richtung Lösung, dass dieser gehört und ernst genommen wird. Das ist auch eine wichtige vertrauensbildende Maßnahme und die Basis von Gemeinwesenmediation. Die Konfliktpartner müssen durch die MediatorInnen glaubhaft vermittelt bekommen, dass diese nicht auf irgendeiner Seite stehen und geheime Interessen verfolgen, sondern tatsächlich allparteilich sind. Allparteilichkeit ist etwas anderes als Neutralität. Sie kann sich auch in den unterschiedlichen Phasen der Mediation verändern, denn es gilt auch, die gerade offenbar Schwächeren in einer Situation zu unterstützen.


Die Gemeinwesenmediation beschäftigt sich aber wie gesagt nicht nur mit der Bearbeitung bereits aufgeflammter Konflikte. Sie betrachtet es als ihr ureigenstes Metier, die BürgerInnen an Entscheidungsprozessen bereits im Vorfeld zu beteiligen. Nicht zuletzt deshalb, weil sich sonst nur diejenigen Gehör verschaffen und somit in solche Prozesse einbringen können, die über entsprechende Bildung und/oder Einkommen und/oder Beziehungen – zu Medien und/oder Politik – verfügen.

Welche Chancen bzw. Möglichkeiten liegen in der Gemeinwesenmediation? Was begeistert Sie an der Gemeinwesenmediation als Methode?
Gemeinwesenmediation in Form von BürgerInnenbeteiligung ist die Beschaffung von Akzeptanz. Diese ist zum Beispiel auf Gemeindeebene auf andere Weise kaum zu bekommen und wenn dann sehr viel teurer – etwa durch aufwändige Medienkampagnen – und weniger nachhaltig. Es gibt viele Beispiele dafür, dass nachträgliche Korrekturen einer Planung, die an den Bedürfnissen der Betroffenen vorbei ging, signifikant mehr an Kosten – in jeder Hinsicht – verursachen können. So etwas hat schon manchen Politiker à la longue den Job gekostet. Professionelle Gemeinwesenmediation bietet eine gute Chance hier eine neue Grundlage auch in der Öffentlichkeit zu schaffen. 


Ein wesentlicher Aspekt ist aber auch: Partizipationsverfahren sind soziale Lernprozesse. Die Beteiligten erfahren hautnah, dass es noch andere legitime Interessen als die eigenen gibt. Üblicherweise wird eine Forderung an die Politik delegiert, dies irgendwie zu regeln. Im Prozess der BürgerInnenbeteiligung muss das selbst ausgehandelt werden. „Nebenprodukt“ ist dabei das gewachsene Verständnis für die Herausforderungen mit denen Kommunalpolitik zu kämpfen hat. Hierbei wird oft mehr an politischer Bildung „nebenbei“ angeeignet, als im gesamten Leben zuvor; von den gleichen Personen, die nie auf die Idee kämen ein Seminar für politische Bildung zu besuchen, da ihnen schlicht die Motivation dazu fehlt. Das ist „learning by doing, at its best.“


Ein weiterer, aber weithin kaum beachteter positiver „Nebeneffekt“ ist die Zunahme von Sicherheit: Menschen die einander in einem solchen Verfahren kennen lernen, schauen aufeinander auch im Wohnumfeld. Sie sind nicht mehr anonym. Und sie schauen auch auf Gemeinschaftseinrichtungen, die für sie nun viel mehr die ihren sind, als zuvor. Das reduziert Vandalismus und dessen Folgekosten für die Allgemeinheit. Mir ist eigentlich kein anderes Maßnahmenformat bekannt, mit dem derartig viele Fliegen auf einem Schlag getroffen werden können.

Gibt es auch Grenzen der (Gemeinwesen)Mediation als Konfliktbearbeitungsverfahren?
Grenzen gibt es natürlich auch: Mediation muss tatsächlich ergebnisoffen sein, das heißt wenn es keinen Spielraum für die Einflussnahme der BürgerInnen in einem solchen Prozess mehr gäbe, kann es auch keine Gemeinwesenmediation geben. BürgerInnen merken sehr rasch, wenn man sie hinters Licht führen möchte.

Haben sich die Konflikte im Gemeinwesen in den letzten Jahrzehnten verändert?
Ja und nein: Die Grundmuster der Konflikte sind häufig die gleichen, aber manche sind aggressiver geworden. Auf der einen Seite hat die Frustrationstoleranz in unserer Gesellschaft abgenommen, auf der anderen Seite ist es selbstverständlicher geworden Konflikte im Gemeinwesen – auch präventiv – professionell zu bearbeiten. In der Politik ist durchaus die Erkenntnis gesickert, dass die Partizipation von BürgerInnen an Entscheidungen kein Nach- sondern ein Vorteil ist, der sich sowohl finanziell, wie auch politisch rechnet.

Was macht Ihrer Meinung nach eine gute Gemeinwesenmediatorin/einen guten Gemeinwesenmediator aus?
Die Gemeinwesenmediation unterscheidet sich grundsätzlich von anderen Formen der Mediation. So haben wir es praktisch immer mit Großgruppen - zumeist Erwachsener - zu tun. Das heißt ohne das gute Beherrschen von Methoden wie Moderationstechniken und dem Umgang mit – auch politischer – Gruppendynamik, geht gar nichts. Das ist etwas anderes als das Zweiergespräch bei einer Scheidungsmediation. Dazu kommt auch noch ein großer Unterschied zu allen anderen Mediationen: Diese sind per Gesetz der Vertraulichkeit unterworfen. Gemeinwesenmediation findet häufig im öffentlichen Raum, mit vielen Beteiligten statt. Das heißt eine Gemeinwesenmediatorin/ein Gemeinwesenmediator muss auch den Umgang mit der Öffentlichkeitsarbeit beherrschen und das „Spiel“ zwischen dem, was unter den Beteiligten tatsächlich vertraulich bleiben kann und was an Informationen an die Medien weitergegeben wird. Bei einer Mediation, die ich zwischen Punks, der Polizei und den Geschäftsleuten der Mariahilfer Straße [Wien] hatte, waren zum Beispiel sogar die Medien mit dabei, das war mit den Beteiligten so vereinbart. Dadurch ergibt sich auch eine deutlich andere Dynamik. 


Es braucht also gruppendynamische, analytische und Interventions-Fähigkeiten ebenso wie Moderationstechniken und eine sehr gute – auch politische – Allgemeinbildung sowie die Fähigkeit, diese mit viel Fingerspitzengefühl umsetzen zu können. Vorerfahrungen in der Arbeit mit Gruppen oder auch mit politischem Engagement sind dabei hilfreich, sie machen auch das aus was wir Feldkompetenz nennen. Gezielter und intensiver Medienkonsum ist wesentliche Voraussetzung, um immer am aktuellsten Stand der veröffentlichten Meinung sein zu können und diese auch in die Arbeit mit einbeziehen zu können. GemeinwesenmediatorInnen müssen außerdem face-to-face mit Menschen sehr gut umgehen können – das ist ihr Kerngeschäft. Sie sind darüber hinaus aber auch ExpertInnen für Partizipationsprozesse und müssen solche „maßgeschneidert“ aufsetzen können. Dazu braucht es Know-How.

Welche Rolle kann Mediation bei Prozessen der BürgerInnenbeteiligung bzw. der partizipativen Gemeinwesenarbeit spielen?
Das eine ist, dass Konflikte erst gar nicht entstehen müssen – Prävention. Das heißt es gilt die „richtigen“  Beteiligten ausfindig zu machen und im Vorfeld in einen Prozess mit einzubeziehen. Dafür gibt es je nach Situation recht unterschiedliche Modelle. Beispiele dafür wären die Entwicklung neuer Verkehrskonzepte in den fünf Katastralgemeinden in Gerasdorf/NÖ oder im 12. Wiener Gemeindebezirk im Bereich um die Hoffingergasse. Hier wurden in sehr unterschiedlichen Weisen die BürgerInnen mit einbezogen. Denn es gibt kein Patentrezept das für alle Gegebenheiten passt. Deshalb ist eine gründliche, alle Fakten einbeziehende ungeschönte Analyse unabdingbare Voraussetzung, um einem Prozess realistische Erfolgsaussichten zu geben. Übrigens waren beide genannten Verfahren sehr erfolgreich in jeglicher Hinsicht. 


Das andere ist, wenn ein Konflikt schon eskaliert ist. Ich denke dabei etwa an ein Beispiel eines neu einzurichtenden AsylwerberInnenheimes; da haben einige Politiker immer wieder versucht die Nachbarschaft über die Medien zu emotionalisieren, um das parteipolitisch ausbeuten zu können. In einer solchen Situation bedarf es eines besonders gekonnten, umsichtigen und mutigen Vorgehens von GemeinwesenmediatorInnen, die übrigens dabei auch nie alleine arbeiten. Hier wird auch der Unterschied zu allen anderen Mediationsformen deutlich. Der Konflikt um die Heime für Asylsuchende hat sich im Übrigen ziemlich entspannt – es ist „die Luft draußen“, wie man so sagt. Gemeinwesenmediation ist keine Zauberei, aber sie kann vieles zumindest in den Auswirkungen mildern, was mit herkömmlichen politischen Mitteln nicht geht.


Dr. Kilian Franer wurde nach seinem Doktoratsstudium der Bildungswissenschaft an der Humboldt Universität zu Berlin und der Psychologie an der Universität Wien ab 1977 freiberuflich als Mediator, Berater und Coach bei BürgerInnenbeteiligungen, in Wirtschaft, Verwaltung, Wissenschaft und Politik tätig. Franer leitet den Diplomlehrgang „Gemeinwesenmediation“ am Bundesinstitut für Erwachsenenbildung, bifeb).

Weitere Informationen

  • Der Lehrgang "Gemeinwesenmediation" startet im Oktober 2014 am bifeb). Mehr Informationen finden Sie im Detailprogramm und auf der Homepage des bifeb).
  • Informationsveranstaltung zum Lehrgang: Mittwoch, 25. Juni 2014, 17:30-19:00 Uhr, Weiterbildungsakademie Österreich Siebensterngasse 21/2, 1070 Wien. Ein weiterer Termin am bifeb) wird folgen.

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