Lebenslanges Lernen in ungewohntem Licht

03.03.2014, Text: Wilfried Hackl (seit 2016: Wilfried Frei), Redaktion/CONEDU
Neuerscheinung von Peter Schlögl unter dem Titel "Ästhetik der Unabgeschlossenheit. Das Subjekt des lebenslangen Lernens" soeben erschienen.
Neu im Transcript Verlag: Peter Schlögls Buch über LLL
Screenshot: EDUCON/W. Hackl
Was wäre, wenn lebenslanges Lernen nicht als ein mehr oder weniger freiwilliger Aneignungsprozess über die gesamte Lebensspanne gedacht wird? Und was wäre, wenn es nicht um Bildungsmarketing, sondern um Demokratisierung ginge? Peter Schlögl, geschäftsführender Leiter des Österreichischen Instituts für Berufsbildungsforschung, hat in seiner soeben erschienenen Studie unterschiedlichen Perspektiven nachgespürt, die ihren Eingang in das Denken hinter den Schlüsseldokumenten des Europarates, der OECD und der EU gefunden haben. Die Untersuchung zeigt: wenn man auf das lernende Subjekt im Zusammenspiel mit der Welt blickt, entsteht ein unabgeschlossenes Bild, das jenseits traditioneller Bildungsverständnisse wie Reifung oder Entwicklung steht.
 
Kennen Sie den "Erfinder" von lifelong education?
Glaubt man dem englischen Erwachsenenbildner Basil A. Yeaxlee, Autor des Büchleins "Lifelong Education" aus 1929, so war es der spätere Physik-Nobelpreisträger Frederic Soddy, der in einem kollegialen Gespräch an der Universität Oxford, diesen Ausdruck prägte. Falls Sie das nicht gewusst haben, können Sie beruhigt sein, denn das liegt wohl daran, dass dieses Buch in keiner einzigen österreichischen Bibliothek verfügbar ist. Aber die Idee des anhaltenden Lernens ist natürlich viel älter.

Waren da nicht schon Hinweise bei Goethe?
Der halb scherzhafte Ausruf Eduards "Es ist schlimm genug […], daß man jetzt nichts mehr für sein ganzes Leben lernen kann" aus Goethes Roman Wahlverwandtschaften (1809) über die Entwicklung des wissenschaftlichen Wissens, mit der nun anhaltend Schritt zu halten wäre, stellt aber auch noch nicht die historisch am weitesten zurückreichende Wurzel dar.

Wie war das mit Luthers "sola sprictura"?
In detailhaften Quellstudien von Andreas Ledl 2006 zeigen sich aus dem reformatorischen Verständnis Luthers heraus explizite Bezüge zu lebenslangem Lernen als Auftrag an die Christenmenschen. Lerngegenstand sind dabei aber nicht Wissen über die Welt, die Schöpfung oder die gesellschaftlichen Anforderungen an allgemein menschliches oder professionelles Handeln, sondern die Heilige Schrift selbst, wie Luther in der Schrift "Urteil von den geistlichen und Klostergelübten" im Jahr 1521 schreibt.
 
Bereits im babylonischen Exil ein Thema?
Die kulturhistorisch am weitesten zurückreichende Einbettung für die Idee des lebenslangen Lernens hat 1975 aber wohl Israel M. Goldman vorgelegt. Und zwar stellt er es als kulturelles Phänomen in den Kontext gottesdienstlicher Ordnung judaistischer Lebensführung. Seit der im babylonischen Exil im 7. vorchristlichen Jahrhundert eintretenden Synagogenentstehung und der wiederkehrenden Beschäftigung mit den heiligen Texten sieht er ein dem alltäglichen privaten und öffentlichen Leben inhärentes Studium.


Wandel muss nicht erzeugt, aber er muss organisiert werden
Dass LLL auch aus einer historiografischen Sicht eine politische Komponente hat, zeigt Schlögl dennoch. Denn wesentliche Quelle für die bildungspolitischen LLL-Konzepte der transnationalen Organisationen war das Denken von John Dewey, dem amerikanischen Philosophen und Bildungsreformer, der individuelle und soziale Erfahrung als den Treibstoff für den Fortschritt und die Demokratisierung von Gesellschaften denkt. Zentrale Wurzel des Denkens von Dewey, der amerikanische Transzendentalismus, wird von Schlögl erstmals im Zusammenhang mit der LLL-Diskussion untersucht und entsprechende genealogische Bezüge herausgearbeitet.

Going Out With Strangers - was kauft man sich damit ein?
Elke Gruber schrieb 2004, die "Pädagogisierung meint heute nicht mehr nur die Expansion eines gesellschaftlichen Teilsystems oder die Durchdringung der Gesellschaft mit pädagogischen Konzepten und Semantiken, Pädagogisierung geht tiefer, sie hat das Subjekt erreicht." Wer oder was hier das Subjekt konkret erreicht, das will Schlögl aus unterschiedlichsten Perspektiven (überwiegend philosophisch und literaturtheoretisch aber auch bildungshistorisch) beleuchten. Er denkt über Wandel, Subjekt und insbesondere über das zugehörige Sprechen darüber nach und will im "lebenslangen Lernen" eine Metapher für ein anders gedachtes Subjekt erkennen. Diese Sichtweise unterscheidet sich von traditionellen Bildungsverständnissen wie Reifung, Ein- und Ausbildung oder Entwicklung. Ein Subjekt entsteht nämlich anhaltend im Zusammenspiel mit seiner Welt und gestaltet diese dadurch zugleich. Es ist keine "Insel" und diese Weise auf ein Subjekt zu schauen, begründet eine Ästhetik der Unabgeschlossenheit.

Das Buch ist keine leichte Kost, aber jedenfalls ein Fundus für intelligible Pointen und verblüffende Perspektiven auf ein scheinbar oft trivialisiertes Konzept von lebenslangem Lernen.

 

Peter Schlögl (2014): Ästhetik der Unabgeschlossenheit. Das Subjekt des lebenslangen Lernens. Bielefeld: transcript. 236 Seiten, ISBN 978-3-8376-2643-8, EUR 30,90.

 

(Quelle: Presseinformation, red. bearb.)

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