Bildungsberatung zwischen Individualität und Standardisierung

18.11.2013, Text: Adrian Zagler, Online-Redaktion
Im Tagungsband "Zukunftsfeld Bildungs- und Berufsberatung" loten ExpertInnen die Aufgaben und Herausforderungen der Beratung in Österreich aus.
Foto: (C) Anna Rauchenberger
Oberstes Gebot: Die Beratenen in den Mittelpunkt stellen
Foto: (C) Anna Rauchenberger
Manchmal fällt es schwer, im Dschungel der Bildungsangebote und -anforderungen den Überblick zu behalten. Dafür gibt es Bildungs- und Berufsberatung. Sie ist ein Teilbereich der Erwachsenenbildung, der sich in der Praxis mit vielen anderen Tätigkeitsfeldern überschneidet. Die zweite Fachtagung „Zukunftsfeld Bildungs- und Berufsberatung“ im April 2012 setzte hier an, um Berufsbilder zu schärfen und Maßnahmen zu Qualitätssicherung zu untersuchen.

 

Wenige Monate später ist der Band zur Tagung im Bertelsmann-Verlag erschienen: Zukunftsfeld Bildungs- und Berufsberatung II – Das Gemeinsam in der Differenz finden (2013). Darin diskutieren ExpertInnen unter anderem die Qualitätsfrage, verschiedene gesellschaftliche Bedingungen der Bildungs- und Berufsberatung, diverse Zugänge, und stellen Anwendungsbeispiele aus der Praxis vor.

 

Fehlende Standards in einer „beratenen Gesellschaft“

Aktuell hat die Bildungs- und Berufsberatung mit einigen Herausforderungen zu kämpfen. Sie ist weder scharf von anderen Beratungs- und Bildungsfeldern abgegrenzt, noch operiert sie nach einheitlichen Standards. Beratung findet heutzutage in allen erdenklichen Lebensbereichen statt: von der Ernährung über den Sport bis hin zu Mode. Das Überangebot von Beratung bei gleichzeitigen fehlenden Qualitätsstandards macht der Bildungs- und Berufsberatung zu schaffen. Der zunehmend wichtige Kosten-Nutzen-Faktor in der Beratung sorgt ebenfalls für Druck auf BeraterInnen.

 

Selbstgesteuertes Laufbahnmanagement

Eine weitere Herausforderung, sowohl für Beratende als auch Beratene, sind die marktpolitischen Entwicklungen im Zeitalter von Globalisierung, Liberalisierung und Kapitalisierung. Am Arbeitsmarkt ist mittlerweile nicht nur Flexibilität gefragt, sondern auch „selbstgesteuertes Laufbahnmanagement“. Nicht Betriebe und Organisationen entwickeln ihre MitarbeiterInnen, sondern diese müssen sich selbst um die eigene Laufbahn kümmern.

 

In seinem Beitrag zum Tagungsband beschreibt Andreas Hirschi drei Formen solcher selbstgesteuerten Laufbahnen: proteanische, grenzenlose und kaleidoskopische. Die erste, nach dem wandlungsfähigen griechischen Gott Proteus benannt, wird „durch persönliche Werte geleitet“ und hat „das Ziel, subjektiven Karriereerfolg zu erreichen“ – also Zufriedenheit und Erfüllung anstatt Statussymbole. Die grenzenlose Laufbahn dagegen betont Mobilität über Unternehmens- und Landesgrenzen hinaus. Kaleidoskopisch ist eine Laufbahn, die nicht linear ist, sondern sich wie ein Mosaik aus Einzelteilen zusammensetzt.

 

Die Beratenen stehen im Mittelpunkt

Hirschis Aufsatz zeigt, dass Laufbahnen komplex gestaltet werden können, und stark von persönlichen Zielen und Werten geprägt werden. Daher ist es wichtig, die Beratung auf die individuelle Situation der KlientInnen zuzuschneiden. Im Tagungsband stellen einige Autoren Ansätze und Konzepte dafür vor, etwa den narrativen Ansatz und das „Career Style Interview“. Auch Methoden der Systemmodellierung haben der Publikation zufolge ihre Berechtigung in der Bildungs- und Berufsberatung.

 

Dieselbe Sprache sprechen

Genauso wie andere Angebote des Bildungsbereichs steht auch die Beratung vor der Herausforderung, bildungsferne Menschen zu erreichen. Erika Kanelutti-Chilas und Alexandra Kral führten dazu eine Studie durch, deren Ergebnisse ebenfalls im Tagungsband nachzulesen sind. Eine ausführliche Version unter dem Titel Niederschwellige Bidungsberatung – Herausforderung auf allen Ebenen wurde 2012 vom Verein „in between“ herausgegeben.

 

Kanelutti-Chilas und Kral machen fünf Hinderungsgründe fest, weshalb Menschen Bildung und Beratung fern bleiben: Versagensängste, Zurückstellung der eigenen Bedürfnisse, Praxisorientierung, geringe soziale Mobilität und Vorbehalte gegenüber Unterstützungsangeboten. Bildungsberatung müsse nicht nur informieren, motivieren und stärken, sondern sich auch hilfreich und vertrauenswürdig präsentieren, resümieren die Autorinnen. Dabei sei unter anderem entscheidend, welche Sprache und Sprachstile benutzt würden.

 

Berufe zum Angreifen

Neben all diesen Herausforderungen gibt es aber auch zahlreiche „good practice“-Beispiele, wie Beratung ansprechend gestaltet werden kann. Das „Lädolar“ beispielsweise ist eine Initiative aus Vorarlberg, die SchülerInnen mit handwerklichen Berufen vertraut macht und dabei alle Sinne anspricht. Klaus Metzler stellt das Konzept im Tagungsband vor.

 

Einen vollkommen anderen aber mindestens so erfolgreichen Weg beschreitet die Webseite „Watchado“. Dort stellen Menschen, vom Lehrling bis zum Bundespräsidenten, in kurzen Videos ihren Berufsalltag und ihren Karriereweg vor. Über eine kurzes „Interessensmatching“ bekommen Suchende genau jene Videos präsentiert, die ihren eigenen Vorlieben und Stärken am meisten entsprechen.

 

Bildungs- und Berufsberatung im Querschnitt

Der Tagungsband Zukunftsfeld Bildungs- und Berufsberatung II zeigt das breite Feld an Themen, mit denen sich BildungsberaterInnen aktuell auseinandersetzen. Intrinsische und extrinsische Faktoren, theoretische und Praxiszugänge sind auf 232 Seiten vereint. Die 17 Aufsätze sind allesamt inhaltlich fundiert und lesenswert. Sie geben Anstoß für notwendige Diskussionen und weitere Entwicklungen zu einer „proteanischen, grenzenlosen und kaleidoskopischen“ Bildungs- und Berufsberatung.

 

Hammerer, Marika, Erika Kanelutti-Chilas und Ingeborg Melter (Hg.) (2013): Zukunftsfeld Bildungs- und Berufsberatung II – Das Gemeinsam in der Differenz finden. WBV. 232 Seiten, ISBN 978-3-7639-5128-4, EUR 24,90.

 

Kanelutti-Chilas, Erika und Alexandra Kral (2012): Niederschwellige Bidungsberatung – Herausforderung auf allen Ebenen. Verbesserte Zugangswege zu einem vielfältigen Angebot. In between.

Weitere Informationen: