Studie: Erwerbskarrieren von Akademikerinnen am Land

28.06.2013, Text: Alfred Lang, Burgenländische Forschungsgesellschaft
Je höher die Qualifikation, desto besser die Chancen auf dem Arbeitsmarkt - sagt man. Doch das gilt nicht für alle gleichermaßen.
Im Burgenland hat sich laut AMS Statistik in den letzten 20 Jahren die Zahl arbeitsuchender Hochschulabsolventen vervierfacht, jene der weiblichen versechsfacht. Trotz eines spärlichen Arbeitsplatzangebots versuchen immer mehr Akademikerinnen ihre Erwerbskarriere im Land zu starten bzw. fortzusetzen. In zwölf Interviews mit akademisch ausgebildeten Frauen suchte Judith Jakowitsch von der Burgenländischen Forschungsgesellschaft in der Studie "No Country for Academic Women?" Antworten auf die Fragen: Warum ziehen Akademikerinnen ins Burgenland? Welche Konsequenzen hatte der Umzug auf ihre Erwerbskarriere? Waren sich die Hochschulabsolventinnen dieser Konsequenzen bewusst? Wenn ja, warum wurden sie in Kauf genommen?

 

Bildungsbeteiligung von Frauen stark gestiegen
Burgenländische Frauen haben in den letzten Jahrzehnten hinsichtlich der Bildungsbeteiligung massiv aufgeholt. Im Burgenland besuchen mehr Jugendliche eine höhere Schule als in jedem anderen Bundesland (68,1% im Vergleich zu 60,1% in Gesamtösterreich), und Mädchen stellen mit 56,6% die Mehrheit an den MaturantInnen. Dadurch steht immer mehr jungen Frauen der Erwerb eines tertiären Bildungsabschlusses offen: 25,8% aller 18- bis 21-jährigen BurgenländerInnen immatrikulieren an einer Universität (Österreich: 26,1%, Wien: 36,5%) und 18,6% der selben Altersgruppe an einer Fachhochschule (Österreich: 14,6%).

 

Aus der Perspektive der Regionalentwicklung ist ihr Verbleib im Land bzw. die Rückkehr der zum Universitätsstudium abgewanderten Personen wünschenswert. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass eine adäquate Beschäftigungsmöglichkeit gegeben ist, eine Prämisse, die periphere Regionen wie das Burgenland aber nicht immer erfüllen. Ausnahmen bilden klassische Berufsfelder wie der Lehrberuf, die öffentliche Verwaltung oder der medizinische Bereich.

 

Die Hälfte der Interviewpartnerinnen wohnt jetzt wieder in der Heimatgemeinde, die anderen sind zugewandert. Zehn der befragten Frauen sind verheiratet bzw. leben in Partnerschaft, zwei sind Alleinerzieherinnen. Bis auf zwei Frauen haben die Befragten ein oder mehr Kinder, meist im Kindergarten- und Volksschulalter.

 

Optimismus trotz geringem Arbeitsplatzangebot
Die meisten Befragten wussten über das geringe regionale Angebot, vor allem qualifizierter und gut bezahlter Arbeitsplätze, sowie die relativ schlechte öffentliche Verkehrsanbindung Bescheid. Keine Frau hat aber vor dem Umzug aktiv Stellenangebote gesichtet oder eine Arbeitsstelle gesucht. Alle Befragten waren vor dem Umzug durchaus optimistisch, einen geeigneten Arbeitsplatz zu finden.

 

Berufstätig, aber kaum Vollzeit
Zum Zeitpunkt des Interviews war nur eine Befragte Vollzeit beschäftigt, sechs arbeiteten Teilzeit, drei waren geringfügig beschäftigt und zwei auf Arbeitsuche. Für knapp die Hälfte der Interviewpartnerinnen ist die gegenwärtige Erwerbssituation deutlich schlechter als vor dem Umzug, für zwei blieb sie in etwa gleich, zwei weitere sind sowohl vor als auch nach dem Umzug arbeitslos. Nur für eine Befragte verbesserte sich die berufliche Situation.

 

Selbständigkeit als Alternative
Drei der zehn beschäftigten Frauen sind selbstständig erwerbstätig – alle als Einpersonenunternehmen. Berufliche Selbstständigkeit wird auch von den zwei arbeitslosen Frauen sowie zwei der geringfügig Beschäftigten als die wahrscheinlichste Option angegeben, um wieder erwerbstätig zu werden bzw. in einem Existenz sichernden Ausmaß einer Beschäftigung nachzugehen. Die Gründung eines eigenen Unternehmens wird von den Interviewpartnerinnen dabei einerseits als Lösung gesehen, um auf dem burgenländischen Arbeitsmarkt überhaupt einer der Ausbildung oder dem Interesse entsprechenden Beschäftigung nachgehen zu können, andererseits bietet die Selbständigkeit bessere Voraussetzungen für eine Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Die bereits aktiven Unternehmerinnen bestätigen, mit entsprechendem Arbeitseinsatz gute wirtschaftliche Erfolge zu erzielen.

 

Tagespendeln ist keine Alternative
Das tägliche Auspendeln in den Ballungsraum Wien oder Graz als Reaktion auf den kargen burgenländischen Arbeitsmarkt ist für keine der Befragten eine Lösung, vor allem Mütter mit relativ kleinen Kindern lehnen dies ab. Wochenpendeln wird von einer Frau gelebt, eine andere denkt daran.

 

Wichtigstes Motiv für den Umzug aufs Land ist Lebensqualität
Nur für zwei Frauen war ein Jobangebot der Grund für den Umzug, in einem Fall ein solches an den Partner. Für alle anderen war Lebensqualität des primäre Motiv, vor allem im Zuge der Familiengründung. Unter Lebensqualität wird ein eigenes Haus mit Garten verstanden, viel mit den Kindern und/oder dem Partner gemeinsam verbrachte Zeit, sportliche Aktivitäten, Erholung in der freien Natur und generell Ruhe und Entschleunigung in lärm- und verkehrsarmer ländlicher Umgebung.

 

Niedrige Wohn- und Lebenshaltungskosten im Burgenland
Dass dieses Lebenskonzept gerade im Burgenland zur Umsetzung gelangte, lag vor allem an der fehlenden Finanzkraft der Gesprächspartnerinnen für Objekte in geringerer Entfernung zu Wien. Die meisten Gesprächspartnerinnen erwähnten, einen bescheidenen Lebensstil zu pflegen und wenig Wert auf materiellen Wohlstand zu legen.

 

Bildung als Persönlichkeitsentwicklung
Alle Frauen, auch jene, die derzeit ihre akademischen Ausbildung beruflich nicht adäquat umsetzen können, würden dennoch wieder ein Universitätsstudium beginnen. Sie schätzen den Wert des Studiums für ihre persönliche Entwicklung und Entfaltung und nennen die Horizonterweiterung, persönliches Interesse am Fach sowie generell Freude am Lernen, Wissenserwerb und intellektueller Entfaltung als wichtigste Motive für die Studienwahl. Die Studienzeit wird durchwegs als ein bereichernder Lebensabschnitt geschildert, auch weil das vielfältige Kultur- und Freizeitangebot genossen, die Vorteile der Anonymität in der Großstadt entdeckt sowie politisches und umweltaktivistisches Engagement gelebt werden konnten.

 

Studienberatung mangelhaft
An eine karrieretechnische Verwertbarkeit des angestrebten Studienabschlusses dachte zunächst kaum eine der Gesprächspartnerinnen, geschweige denn an eine wissenschaftliche Laufbahn. Dies läßt sich auch daran ablesen, dass nur in Ausnahmefällen bereits vor der Matura die Studienrichtung feststand. Mehrere Frauen besuchten zumindest im ersten Semester Vorlesungen an verschiedenen Instituten und entschieden sich erst später für ein Fach. Außerdem begann nicht einmal die Hälfte gleich nach der Matura mit der letztlich auch abgeschlossenen Studienrichtung, die meisten schlugen zunächst einen anderen Bildungsweg ein bzw. verbrachten einige Zeit im Ausland. In diesem Zusammenhang wird auch große Unzufriedenheit mit der Studien- und Berufswahlberatung an den Schulen artikuliert.

 

Freie Studiengestaltung läßt Raum für Orientierung
Eine wichtige Voraussetzung war die in ihrer Studienzeit noch relativ freie Gestaltbarkeit des Universitätsstudiums, der freie Universitätszugang, sowie die Bildungsreformen der 70er Jahre, die besonders Frauen am Land neue Bildungschance eröffneten. Die heutige Situation an den Universitäten wird diesbezüglich sehr kritisch gesehen.

 

Der Universitätsabschluss und der Umzug auf das Land hat den Frauen also nicht unbedingt zu einer Karriere im herkömmlichen Sinn verholfen, für die meisten jedoch zur Herstellung einer Lebens- und Beschäftigungssituation beigetragen, die ihnen unter den gegebenen Arbeitsmarktbedingungen ein Maximum an persönlicher Autonomie und organisatorischer Selbstbestimmung sowie ein relativ zufriedenstellendes Einkommen ermöglicht. Ein gewisser Grad an Konsumverzicht wird dabei zugunsten einer entschleunigenden Lebensführung in Kauf genommen.

 

Die Studie "No Country for Academic Women? Erwerbskarrieren burgenländischer Akademikerinnen" ist in der Reihe BFG:Studies erschienen und Teil eines größeren Projektes im Rahmen des EU-Programms für lebenslanges Lernen, Aktion Grundtvig, an dem Partnereinrichtungen an Universitäten aus Tschechien, der Slowakei, Ungarns und Rumäniens teilnahmen. Sie kann kostenlos über die Webseite der Burgenländischen Forschungsgesellschaft angefordert werden bzw. steht dort als Download zur Verfügung.

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