Volkswirtschaftlich denken heißt: Kooperation, Gemeinschaft, Bildung

28.11.2012, Text: Christian Ocenasek, bifeb
Peter Härtel spricht über die Rolle der Volkswirtschaftlichen Gesellschaft bei der Gestaltung von Übergängen im Bildungswesen.
Die Volkswirtschaftliche Gesellschaft ist der kleinste, in der allgemeinen Öffentlichkeit wahrscheinlich auch der am wenigsten bekannte Verband der Konferenz der Erwachsenenbildung Österreich (KEBÖ). Was ist die Volkswirtschaftliche Gesellschaft? Wofür steht sie?
Wir verstehen uns als Gesellschaft, der es ums Bewusst machen größerer wirtschaftlicher Zusammenhänge geht. Die Volkswirtschaftliche Gesellschaft ist eine Netzwerkorganisation von 9 Landesgesellschaften, die regional sehr spezifisch wirksam werden, und einem Dachverband, der die Kontakte zur KEBÖ, zu den Sozialpartnern und vielen anderen nationalen und internationalen Netzwerken pflegt.
Die Gründung der VG geht auf die 50er Jahre zurück. Damals haben Jugendliche die Schule verlassen ohne Wissen über die Wirtschaft. Unternehmer und Volkswirte haben erkannt, dass die Menschen wirtschaftliches Verständnis entwickeln sollten, das weit über Betriebswirtschaft und reine Unternehmensführung hinausgeht.

Die Volkswirtschaftliche Gesellschaft ist in der Wirtschaftskammer verankert. Wie setzen Sie die Volkswirtschaftlichen Interessen gegen die Betriebswirtschaft durch?
Betriebswirtschaft und Volkswirtschaft sind Betrachtungsweisen desselben Gegenstandes aus einem unterschiedlichen Fokus. Die Volkswirtschaftliche Gesellschaft wurde ganz bewusst als Bildungseinrichtung gegründet aus der Erkenntnis heraus, dass Bildung eine übergeordnete Interessenslage darstellt. Wirtschaft und Bildung - ohne Bildung dabei auf Wirtschaft reduzieren zu wollen - haben enge Zusammenhänge, die erfolgreiches nachhaltiges Wirtschaften ermöglichen. Zur Gründungszeit war das noch nicht selbstverständlich, heute wird das von niemandem mehr bezweifelt.
Unser Anliegen ist es, den Blick der UnternehmerInnen zu weiten - vom unmittelbaren funktionalen Effekt der Ausbildung hin auf die gesamtgesellschaftliche Entwicklung, die letztlich auch darin besteht, dass Branchen sich selbst verantwortlich sehen, für qualifizierten eigenen Nachwuchs zu sorgen.

Wie zum Beispiel bei der Lehrlingsausbildung, wo ja nur ein geringer Teil der Gesellen beim Ausbildungsbetrieb weiter arbeitet?
Es ist gescheiter, das betriebliche Eigeninteresse so zu verfolgen, dass es nicht im Gegensatz zu den Allgemeininteressen steht. Wir müssen Wettbewerb mit einem wirtschaftsethischen Zugang verbinden. Und dazu müssen wir die Zusammenhänge erkennen lernen.
Die Volkswirtschaftliche Gesellschaft hat sich immer bemüht, möglichst früh im Bildungsweg auf die gesellschaftlichen Zusammenhänge hinzuweisen. So wurde das erste Wirtschaftskunde-Schulbuch von der VG erstellt, wir haben die Einführung der Polytechnischen Schule zum Pflichtschulabschluss, als Vorbereitung ins Berufsleben, unterstützt, und wir führen immer wieder Projekte in und mit Schulen durch, die unternehmerisches Handeln stärken und dabei die Zusammenhänge sichtbar machen. Wir haben zum Beispiel ein volkswirtschaftliches Planspiel erarbeitet, in dem jede relevante gesellschaftliche Rolle eingenommen werden kann und die gesellschaftlichen Wirkungen des Handelns sichtbar werden.

Aus meiner Beobachtung liegt ein guter Teil der Arbeit der VG im Übergangsbereich zwischen Schule und Berufsleben und dabei wirken Sie, weit über die Bildungsmaßnahmen hinaus, bei der politischen Gestaltung dieser Übergänge mit.
Einen Bildungsbetrieb leiten heißt ja auch die Rahmenbedingungen gestalten. Ich erachte es als öffentliche Verantwortung, allen Menschen faire und vergleichbare Chancen zu bieten, auf Basis ihrer individuellen Voraussetzungen, Talente, Begabungen, Interessen. Die gesellschaftlichen Entwicklungen erschweren dies für viele junge Menschen total, weil sich zum Beispiel deren Eltern das Unwesen der Nachhilfe nicht leisten können. Unser Bemühen um die Gestaltung der Übergänge bedeutet das Erfordernis der ständigen Weiterentwicklung, nicht nur der Bildungsangebote im engeren Sinne, sondern auch im Verhandeln von Strukturen, die diese fairen Chancen für alle bieten.

Ich höre ein hohes Engagement heraus, das ja auch oft enttäuscht wird. Wenn wir bei Ihrem Beispiel bleiben – wir sind ja noch weit davon entfernt, dass diese Chancengleichheit realisiert ist. Ist es da nicht schwer, den Unterschied zwischen Wunschbild und Realität auszuhalten?
Es regt mich auf, wenn wir zuschauen, wie Personen aus den Bildungsprozessen herausfallen. Das ist vor allem einmal ein individuelles Drama, aber auch sozial, gesellschaftlich, wirtschaftlich nicht verantwortbar. Es passiert vieles in unserem Bildungssystem, wo wir uns behindern. So leistet sich Österreich im Schulsystem die Besonderheit von 5 Administrationsebenen (Anm.: Bund, Land, Bezirk, Gemeinde und Schulstandort) mit Kreuz- und Querzuständigkeiten, bis hin zu der Tatsache, dass wir uns zwei Stränge der Sekundarstufe 1 (Anm: 10-14 jährige) leisten, die wortidente Lehrpläne haben, aber ganz unterschiedlich organisiert sind, und die LehrerInnen ganz unterschiedlich ausgebildet werden. Das versteht niemand auf der Welt. Das Bewusstsein der Erfordernis tiefgreifender Änderungen macht mich intellektuell ungeduldig und das Wissen um die Barrieren bei der Umsetzung dieser Veränderungen erfordert einen langen Atem. Diese Gleichzeitigkeit von Ausdauer und Ungeduld gilt es auszuhalten.
Und es ist ja nicht so, dass wir auf keine Erfolge hinweisen können. Österreich ist Europameister in der Jugendbeschäftigung. Das begründet sich auch mit der gelungenen, mittlerweile gesetzlich verankerte Berufsorientierung, Berufsvorbereitung und Berufsüberleitung. Generell muss die Erwachsenenbildung vorbereitet sein, um passende Gelegenheiten für Änderungen zu nutzen. Als Volkswirtschaftliche Gesellschaft haben wir Konzepte in der Schublade, wenn sich so ein „window of opportunity“ auftut.

Darf ich Sie um die Bedeutung von Kooperation für die Volkswirtschaftliche Gesellschaft fragen?
Volkswirtschaft ist Kooperation. Es ist die Verbindung von Wettbewerb und Kooperation. Ohne das Zusammenwirken der unterschiedlichen Kräfte passiert in der Volkswirtschaft nichts nachhaltig Erfolgreiches. Auch im Bildungswesen ist das nicht anders. Wir wollen Bildung so nahe wie möglich an die Personen bringen, die sie brauchen, vor allem auch an jene, die aktiv den Zugang nicht so gut finden. Da können wir regional gar nicht anders, als mit den Schulen und den Betrieben zusammenarbeiten, um auf eine sehr vernetzte und integrative Weise Bildungsprozesse zu gestalten.
Bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen geht es auch nicht anders. Juli 2011 hat Österreich eine Strategie des Lebensbegleitenden Lernens beschlossen. Unter Federführung von 4 Ministerien und unter Einbindung aller Sozialpartner wird an einem gemeinsamen Konzept, einer Strategie 2020 gearbeitet wird, die die früheste Elementarbildung bis hin zum Lernen im Alter umfasst. Die Erwachsenenbildung hat die Chance zu nutzen, aufeinander abgestimmt, umfassende Bildungsprozesse in eine Entwicklung zu bringen. Sie leistet ja bereits ihren Beitrag, ich denke da an das Nachholen des Hauptschulabschlusses, die Initiativen zur Basisbildung, Länder-Bund-Vereinbarungen und vieles mehr. All dies sind Initiativen, die von Kooperation getragen sind.

Als einer der Gründer der Volkswirtschaftlichen Gesellschaft haben Sie die Entwicklung stark geprägt. Was hat Sie erfolgreich gemacht? Welche Entwicklungsfelder sehen Sie?
Da muss ich zurückfragen: Bin ich erfolgreich? Ich meine das nicht als rhetorische Frage, sondern erachte es als wichtig, zu überprüfen, ob ich mit meinem Tun auch am Richtigen arbeite. Aber natürlich, ich würde mich nicht engagieren, wenn ich nicht überzeugt wäre, dass unser Handeln auch Sinn macht. Als zukünftige Aufgabe sehe ich, dran zu bleiben mit demselben Engagement und der Kontinuität, die mein Arbeitsleben bisher aufwies. Und die größte Freude ist es, wenn man Personen findet, die gemeinsam Projekte, Vorhaben gestalten und sich dabei mitentwickeln.

Was ist Ihnen ganz persönlich wichtig, womit wollen Sie sich in Zukunft beschäftigen?
Ich will mich noch strukturierter mit philosophischen, kulturellen Hintergründen unterschiedlicher Bildungsbereiche auseinandersetzen.
Entscheidend ist, es nie auszulassen, sich neben dem operativen Alltagsgeschehen mit den substanziellen Fragen der Gesellschaft zu beschäftigen.

Danke für das Gespräch!

Peter Härtel, Jg. 1948, Studium der Volkswirtschaft, Doktoratsstudium mit wirtschaftspädagogischem Schwerpunkt; Geschäftsführer der Steirischen Volkswirtschaftlichen Gesellschaft seit 1978 sowie Geschäftsführer der Volkswirtschaftlichen Gesellschaft Österreich seit 2004; Schwerpunkt der Tätigkeit: Aktivitäten und Projekte an Schnittstellen und Übergängen von Bildung und Wirtschaft auf regionaler, nationaler und Europäischer Ebene; Mitglied des Leitungsausschusses der Konferenz der Erwachsenenbildung Österreich; u.a. österreichischer Delegierter im European Lifelong Guidance Network; zahlreiche Publikationen.
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