Lernexperimente für interaktionelles Lernen

16.10.2012, Text: Wilfried Hackl u. Katharina Velik, Redaktion/CONEDU
Der "Kompass Interaktionspädagogik" systematisiert Trainingsmethoden für interaktionelle Lernprozesse und Persönlichkeitsentwicklung in Gruppen.
Der von Manfred Gührs und Claus Nowak verfasste Band "Kompass Interaktionspädagogik" beschreibt auf 176 Seiten in kompakter Weise 77 Übungen zur Gruppenentwicklung und zu Persönlichkeitsthemen. Das didaktische Modell des "Kompass Interaktionspädagogik" dient dabei als Richtungsweiser: Der Kompass soll helfen, Lernverfahren und -experimente auszuwählen, sie auf die Bedürfnisse der jeweiligen Gruppe zurechtzuschneiden und damit die Voraussetzungen für einen guten Lernprozess zu schaffen. Die Autoren plädieren dafür, Fachinhalte stärker mit den Herausforderungen des Lernens in und mit der Gruppe zu verbinden und geeignete Instrumente zur Verfügung zu stellen, die lebendige und nachhaltige Lernprozesse ermöglichen.

Der Kompass als Navigationhilfe für Lernexperimente
Gührs und Nowak greifen mit "Interaktionspädagogik" einen Begriff wieder auf, der nach seiner Einführung 1975 bald wieder aus der Verwendung geriet. Das didaktische Modell des Kompasses hat zwei Ebenen, auf denen die Hauptaspekte des interaktionellen Lernens angeordnet sind. Den Autoren zur Folge soll die Nadel der Aufmerksamkeit primär auf die erste Ebene der Interaktionspädagogik gerichtet werden, auf der sich die Gruppenphase, der Themenbereich, die Sozialform und die Erlebnisebene befinden. Bei der Wahl einer geeigneten Lehr-Lernmethodik macht es also einen Unterschied, wie weit sich die Gruppe der Lernenden bereits entwickelt hat und womit man sich beschäftigt. Auch, ob man in Gruppen oder alleine lernt und ob man das Lernen durch Schreiben, durch Körpererleben oder mit Phantasie und Imagination vollziehen will, beeinflusst das Navigieren, also die methodische Ausrichtung des Lehr-Lernprozesses.

Eintreten in den Lernprozess
Für die Feinabstimmung der Lernexperimente ist der Fokus auf die zweite Ebene des Kompasses notwendig, die wie schon die obere Ebene vier Quadranten beinhaltet. Hier liegen Kriterien wie z.B. die Erlebnistiefe, die insbesondere bei Methoden aus dem ursprünglich therapeutischen Kontext sehr bewusst zu steuern ist. Des weiteren zählt hierzu die Fokussierung, also die Wahl der "Eingangstür" in den Lernprozess. Mit den "Methodischen Grundmustern" meinen die Autoren Methodenarten, die nach demselben Muster auf verschiedene Situationen und Inhalte variabel anwendbar sind. Die Kenntnis dieser Grundmuster ermöglicht es, einen eigenen interaktionspädagogischen Stil zu finden. Den vierten Quadranten der zweiten Kompassebene schliesslich bildet die praktische Anleitung der interaktiven Lernsituation, für die ebenso sehr diagnostische Fähigkeiten wie Selbstsupervision erforderlich sind.

Reise zu neuen Ufern
Eine Reihe von Lernexperimenten zu den fünf Phasen der Gruppenentwicklung werden im dritten Kapitel angeführt. Das abschließende vierte Kapitel beinhaltet persönlichkeitsentwickelnde Lernexperimente wie zum Beispiel die "Selbst-Laudatio" oder die sogenannte "Reise zu neuen Ufern".  Bei der Selbst-Laudatio werden jene Aspekte der Persönlichkeit der TeilnehmerInnen fokussiert, die mit deren zu würdigenden Leistungen in engem Zusammenhang stehen. Die Reise zu neuen Ufern dagegen ist auf die Auseinandersetzung der Gruppe bzw. deren einzelner Mitglieder mit wichtigen Veränderungen ausgerichtet.

Differenziertes pädagogisches Modell
Während andere Methodenliteratur sich häufig auf die Einteilung nach Anwendungssituationen beschränkt, entwerfen Gührs und Nowak in diesem Band eine differenziertere Struktur mit acht verschiedenen Dimensionen der Gestaltung von Lehr-Lernsituationen. Dieses Wissen ist nicht gänzlich neu, doch die der Humanistischen Pädagogik und Psychologie verpflichtete Auswahl reduziert es anhand des Kompassmodells didaktisch hervorragend. Die 77 Lernexperimente beinhalten bewährte Klassiker - wie etwa die Murmelgruppe oder das Eierflugexperiment - ebenso wie bisher ungelesene, eigene Entwicklungen der Autoren. Das Buch ist von Praktikern für PraktikerInnen geschrieben worden. Gührs und Nowak sind langjährige Lehrtrainer und haben Erfahrung im gemeinsamen Publizieren von praxisbezogenen Handbüchern. 2006 erschien "Das konstruktive Gespräch: Ein Leitfaden für Beratung, Unterricht und Mitarbeiterführung mit Konzepten der Transaktionsanalyse", 2008 folgte "Trainig Gesprächsführung: Trainingshandbuch zur konstruktiven Gesprächsführung". Claus Nowak ist zudem als Co-Autor eines populären Werkes über Teamentwicklung bekannt.

Zielgruppe Lehrende, TrainerInnen und ModeratorInnen
Die Lernexperimente im neuen Buch sind anwendungsorientiert formuliert. Das Layout und die Gliederung sind übersichtlich, sodass man sich auf der Suche nach dem passenden Anwendungen für die eigene Gruppe rasch zurecht findet. Die Autoren beschreiben zudem auch einige anspruchsvolle Übungen, die ein hohes Maß an Selbsterfahrung seitens des Trainers bzw. der Trainerin erfordern. Der "Kompass Interaktionspädagogik" erscheint empfehlenswert für Lehrende und ModeratorInnen, die Interesse an der Gestaltung ganzheitlicher Lernprozesse und der Begleitung der Persönlichkeitsentwicklung in Gruppen haben.

Gührs, Manfred; Nowak, Claus  (2011): Kompass Interaktionspädagogik. Sicher navigieren in interaktionellen Lernprozessen mit 77 Lernexperimenten. Meezen: Limmer Verlag.  ISBN 978-3-928922-20-3, EUR 26,00