Neuerscheinung: Bildung - Eine Streitschrift

15.06.2012, Text: Adrian Zagler, Online-Redaktion
Die Bildungsdebatte ist nicht vorbei. Staatspreisträger 2011 Werner Lenz legt mit seiner Streitschrift wortgewaltig nach.
Nach "Wertvolle Bildung" im letzten Jahr publiziert der Bildungswissenschafter Werner Lenz auch heuer wieder ein Schriftwerk im Löcker-Verlag. Auf 200 Seiten legt er einen Abgesang auf  Lebenslangen Lernen in der gegenwärtigen Form vor. Dahinter verbirgt sich ein Plädoyer für humanistische, aufklärerische und emanzipatorische Bildung als Menschenrecht.

Humanistische und mechanistische Bildung
Lenz könnte nicht den Niedergang der Bildung beklagen, ohne sich mit dem Begriff selbst auseinanderzusetzen. Bildung bedeutet für ihn Auseinandersetzung, Reflexion, Handlung und kritische Betrachtung. Bildung sei ein Prozess des Reifens, überhaupt des Menschwerdens. Bildung und Emanzipation gingen Hand in Hand, somit erfülle Bildung die wichtige Aufgabe, mündige StaatsbürgerInnen zu entwickeln. Das derzeitige System, so Lenz, bringe dagegen dirigierbare Menschen hervor, anstatt "selbstbestimmte, demokratiebewusste, politisch und solidarisch handelnde Personen, die sozial mitfühlend berufstätig sind und eine humane Welt mitgestalten wollen."

Ideengeschichte
Dass Lenz Wissenschafter und Universitätsprofessor ist, merkt man besonders in jenen Passagen, in denen er die Ideengeschichte der Bildung nachzeichnet. Komplexe historische Entwicklungen werden auf wenige Seiten herunter gebrochen und zentrale Leitthemen extrahiert. Die Namen berühmter Philosophen und Visionäre folgen einander Schlag auf Schlag: Locke, Lessing, Rousseau, Humboldt, Liebknecht und Lyotard, bis hin zu Adorno und Liessmann. Der geschichtliche Abriss verfolgt einen bestimmten Zweck: zu zeigen, dass Bildung in einem permanenten Widerspruch zwischen Nutzen und Weisheit steht. Und ganz nebenbei daran zu erinnern, dass Wissen so wertvoll ist, dass sogar Kämpfe und Kriege um die Demokratisierung des Wissens geführt wurden.

Das Ziel ist das Ziel
Bildung ist in den letzten Jahrzehnten zum bilanzierbaren Wirtschaftsgut verkommen, konstatiert Lenz. Das zeige sich unter anderem an der anhaltenden Debatte um Studiengebühren. Dabei werde der Wert der Bildung Einzelner für die Allgemeinheit aber vergessen. Stattdessen zögen wir individualistische und egoistische Kosten-Nutzen-Rechnungen: Bildung muss sich lohnen, vor allem in Bezug auf die Karriere. Studiert werde nicht mehr aus Neugier und Interesse, sondern um eines oder am besten mehrerer Titel willen. Nicht das Studium, sondern nur der Abschluss zähle, frei nach dem Motto: Das Ziel ist das Ziel.

Provokation
Wie es der Titel "Streitschrift" bereits vermuten lässt, spart Lenz nicht mit Anklagen und Provokationen. So stellt er unter anderem die Frage, ob das österreichische Bildungssystem bereits so veraltet und verstaubt sei, dass es als UNESCO-Weltkulturerbe angemeldet werden könne. Die traditionellen Bildungsinstitutionen würden dem Auftrag humanistischer und emanzipatorischer Bildung nicht nachkommen, sondern vielmehr Bildung verhindern und Anpassung erzwingen: "Achtung und Respekt vor Lernenden? Wer bringt das mit? Konzentration auf individuelle Anliegen? Wer hat dafür Zeit? Sorgsamer Umgang mit sich selbst? Wer kann das von sich behaupten?"

Die Auferstehung des toten Ideals
Im letzten Fünftel des Buches entfaltet Lenz schließlich seine Vision eines neuen Bildungskonzepts. Bildung nach dem Ideal des Lebenslangen Lernens soll die Potenziale der Menschen fördern, sie qualifizieren, entwickeln, sozialisieren, vernetzen, engagieren, kultivieren und sensibilisieren. Anstatt zu Konkurrenz und Vereinzelung soll diese Form der Bildung zu einem selbstbestimmten Leben in Würde und Zufriedenheit führen. Etwa ein Viertel der durchschnittlichen Lebenserwartung, rechnet Lenz vor, solle insgesamt in die persönliche Bildung investiert werden. Und das möglichst individuell und flexibel: "Wenn wir Bildung in Vielfalt zulassen, akzeptieren wir auch eine Vielfalt von Menschen- und Gesellschaftsbildern." Das Resultat einer auf diese Weise gebildeten Menschheit wäre Lenz zufolge ein Leben in Freiheit, Gerechtigkeit, Würde, Selbstbestimmung und Frieden. Diese Form der Bildung sei also auch als Teil der Sozialpolitik zu verstehen.

Balsam für die Seele
Lenz' essayistischer Stil gestaltet das Lesen ansprechend. Wortgewandt spannt der Autor den Bogen zwischen Aufklärung und Kapitalismus, Philosophie und Wirtschaft, Geschichte und Zukunft. Ein Lesevergnügen, das keine konkreten Handlungsansätze bieten will, dafür aber immer wieder provoziert und zum kritischen Nachdenken anregt. Nicht zuletzt macht er damit seinem eigenen Unmut und jenem vieler anderer ÖsterreicherInnen (Stichwort "Bildungsvolksbegehren") Luft. Lenz' Streitschrift ist Balsam für die Seele Gleichgesinnter, eignet sich aber ebenso gut als Mitbringsel für Menschen, die ab und zu an den tatsächlichen Wert der Bildung erinnert werden sollten.

Zum Autor
Werner Lenz lehrt seit 1984 als Universitätsprofessor für Erziehungs- und Bildungswissenschaft mit Schwerpunkt Erwachsenenbildung an der Universität Graz. Von 2007 bis 2011 war er Dekan der Fakultät für Umwelt-, Regional- und Bildungswissenschaft. Im Vorjahr erhielt er den Österreichischen Staatspreis für Erwachsenenbildung in der Kategorie Wissenschaft.

Werner Lenz (2012):
Bildung - Eine Streitschrift. Abschied vom lebenslänglichen Lernen.
Wien: Löcker. 209 Seiten, € 19,80, ISBN 978-3-85409-606-1
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