"Kein Missionar mehr"

28.03.2012, Text: Christian Ocenasek, bifeb
Wilhelm Filla nimmt den Hut als Generalsekretär des VÖV und hält Rückschau auf seine Laufbahn und seine Wirkstätte, die Volkshochschulen. (KEBÖ-Serie, Teil 7)
Die Volkshochschulen gehören sicherlich zu den bekanntesten Erwachsenenbildungseinrichtungen. Beinahe jeder Mensch in Österreich hat ein Bild davon, diese Bilder sind oft sehr unterschiedlich. Darf ich Sie ganz banal fragen, was ist eine Volkshochschule? Wofür steht eine VHS?

So einfach gefragt, ist die Antwort schwer. In unseren Leitlinien und Grundsatzpapieren ist dies festgelegt, aber viel bedeutender ist, wie Volkshochschulen ihren Auftrag leben. Es ist aber die Frage, wer beauftragt wen – letztlich beauftragen wir uns selbst. Die Volkshochschulen sind ein dezentrales Gebilde mit sehr vielen unterschiedlichen Ausrichtungen. Das Moment der Aufklärung spielt eine Rolle, das Moment der Allgemeinbildung, kulturelle Bildung, politische Bildung, Gesundheit, das alles ist bedeutend. Es geht um die Ausübung der Kernaufgaben Allgemeinbildung, Grundbildung und berufliche Bildung in einer integrierten Weise.

Es existiert ja auch die einfache Zuschreibung, dass die Volkshochschulen Bildung dem Volk näher bringt, eine Bildung für…

Das ist sehr komplex. Ich möchte nicht den Eindruck stärken, dass die Volkshochschulen die „Hilfsschule der Nation“ sind, zumal gerade das im Bereich der Grundbildung Geleistete äußerst wichtig ist. In Zukunft wird es aber auch darum gehen, die wachsende Zahl der sehr gut und tertiär Ausgebildeten weit mehr als bisher gezielt anzusprechen. Dabei kann die Tradition der Wissenschaftsverbreitung durch Volkshochschulen, in der ein breites soziales Spektrum erreicht wurde ebenso hilfreich sein wie eine Vielzahl von aktuellen Initiativen, die in den letzten Jahren entstanden sind und die ebenfalls ein breites Bildungsspektrum erreichen: University meets public in Wien, Studium Generale in Innsbruck und Salzburg, Wege zum Weltwissen in Vorarlberg, um wenige Beispiele zu nennen.  Ob das alte Konzept Bildung für alle stimmt, ist fraglich. Als Anspruch ja, aber wissenschaftlich, von der Milieutheorie her betrachtet ist das kaum der Fall. Das ist jedenfalls eine theoretisch, empirisch und bildungspraktisch komplizierte Fragestellung, die noch nicht ausdiskutiert ist.

Was sagen Sie zur Bauchladenthese?

Da spricht einiges dafür. Historisch und gegenwärtig. Der Bauchladen bringt ein diffuses Image. Wer allen etwas bieten will, bietet in Wirklichkeit niemandem etwas. Das ist ein ungelöstes Problem, an dem aber gearbeitet wird. Es hätte nach 1945 zwei Entwicklungsmöglichkeiten für die Volkshochschulen gegeben. Die Konzentration auf die großen Städte mit großen und sehr gut ausgestatteten Einrichtungen oder eine dezentrale Ausrichtung. Wir haben jetzt 270 Volkshochschulen in Österreich in unterschiedlichen Größen und Angeboten, sind aber überall vertreten. Das Bild der Volkshochschulen wird stark von den kleinen Einrichtungen geprägt.

Sie sind ja Generalsekretär des Dachverbandes. Wie sehr kann der Dachverband diese Entwicklungen steuern? 

Die Entwicklungen haben eine starke Eigendynamik. Die zentrale Frage eines Dachverbandes ist es, in dezentralen Strukturen nicht zentralistisch zu agieren, sondern die Einrichtungen zu integrieren – so nach dem Prinzip der offenen Koordinierung der EU. Und um  zu einer vernünftigen – wenn auch immer umstrittenen - Balance zwischen zentral verwendeten und weitergeleiteten Mitteln zu kommen. Das ist uns meines Erachtens gut gelungen. Und die Leistungsvereinbarungen mit dem Bund haben uns für diese Balance sehr geholfen.

Bei den zentral verwendeten Mitteln fällt auf, dass der VÖV im Vergleich zu anderen Verbänden personell gut ausgestattet ist und sich im Besonderen auch mit Forschung und Wissenschaft beschäftigen kann.

Das stimmt sicherlich. Wir sind personell gut aufgestellt und da muss auch eine Gegenleistung erbracht werden. Wir haben 1990 mit der Schaffung der Pädagogischen Arbeits- und Forschungsstelle (PAF) und durch die Finanzierung des Ministeriums zwei Schritte nach vorne getan. Damit haben wir eine durch „Haus Rief“ bedingte schwere Krise überwunden. Die PAF konzentriert sich auf die Weiterbildung für die VHS-MitarbeiterInnen und auf Forschungs- und Publikationstätigkeit, die weit über die VHS und den nationalen Bereich hinausgeht. Wir haben eine Infrastruktur für wissenschaftliches Arbeiten geschaffen.

Dazu ist noch zu sagen:  Wir haben MitarbeiterInnen, die wissenschaftlich arbeiten wollen und das auch können. Das Problem beim wissenschaftlichen Arbeiten ist halt, dass es sehr zeitaufwendig ist. Das weiß jede/r, der/die einmal ernsthaft wissenschaftlich gearbeitet hat. Und da ist es wichtig, dass sich bei uns im Verband eine gute arbeitsteilige Struktur entwickelt hat zwischen pädagogischer, wissenschaftlich-dokumentarischer und organisatorisch-finanzieller Tätigkeit.

Der VÖV hat durch seine Struktur auch die Möglichkeit - und diese ja oft genutzt – eine besondere Rolle in der Kooperation mit den anderen Verbänden einzugehen.

Ja, der VÖV hat im Feld der Konkurrenz immer versucht eine führende kooperierende Rolle einzunehmen. Die Weiterbildungsakademie ist das beste Beispiel dafür. Wir waren Projektträger in der Konzeptphase der WBA. Aber die WBA ist bei weitem nicht das einzige. Wir kooperieren stark mit anderen Sektoren, besonders den Unis – und wir sind vor allem international sehr stark vernetzt.

Ich frage noch einmal banal: Wieso ist Kooperation wichtig?

Kooperation hat unter anderem den Wert, sich selbst einen Spiegel vorzusetzen. Und man muss sich überlegen, wie Kooperation allen Beteiligten einen Nutzen bringt. Der Erfahrungsaustausch und -transfer ist nicht zu unterschätzen. Man kann die Erwachsenenbildung als Bildungsfeld betrachten, das sich bereits im 19. Jahrhundert international entwickelt hat.  Stichworte sind (Heim-) volkshochschulen, Urania, University Extension.

Können Sie uns noch etwas zu ihrer Person sagen. Was hat sie in die Erwachsenenbildung geführt? 

Ich bin 1967 in einer  historischen Sondersituation auf die Uni gekommen und habe Soziologie studiert.  Das Jahr 1968 war zwar in Österreich bei weitem nicht so ausgeprägt wie in Deutschland, aber es hat bei mir zu einem missionarischen Anspruch geführt  – mit politischer Bildung werden wir die Gesellschaft aus den Angeln reißen. In der Praxis hat sich das ganz anders herausgestellt. Ich habe ein Berufsfeld gesucht, in dem ich mich verankern kann und bin in die damalige VHS Wien-Nord gekommen. Nach vier Monaten Tätigkeit wurde ich gefragt, ob ich Direktor werden möchte. Ich war so überrascht, dass ich nie ja gesagt habe – aber ich bin Direktor geworden. Um andere Erfahrungen zu machen, habe ich dann vier Jahre lang im Landesjugendreferat der Gemeinde Wien gearbeitet, aber immer mit der Absicht zur Erwachsenenbildung zurückzukommen. 1984 wurde ich dann Generalsekretär des VÖV, mit Überzeugung ausgestattet, aber nicht mehr als Missionar.

Eine bewegende persönliche Geschichte.

Relativ wenige Einzelpersonen üben in der Erwachsenenbildung einen bestimmenden Einfluss aus – das ist vorteilhaft aber auch äußerst problematisch. Mittlerweile, durch die Professionalisierung und Verbreiterung der personellen Basis der Institutionen wird der Gestaltungsspielraum von wenigen Einzelpersonen geringer.  Das ist auch gut so.

Was bedeutet Lernen für Sie ganz persönlich?

Wenn das „Lernlamperl“ einmal eingeschaltet ist, hört das nicht mehr auf. Und ich habe mich immer vorrangig mit dem beschäftigt, was mich interessiert hat. Obwohl, ich muss mich auch mit anderem beschäftigen. Wenn ich an den IT-Bereich denke. Es  wird für mich zunehmend zur Überlebensfrage, hier fit zu sein. Der Computer war für mich immer nur eine Schreibmaschine.

Ich gehe davon aus, dass Sie der Erwachsenenbildung mit Ende Ihrer beruflichen Tätigkeit nicht verloren gehen. Was können wir von Ihnen erwarten?

Fad wird mir sicher nicht. Ich habe zur Zeit mehrere Bücher in Arbeit. Aber ich muss natürlich auch sehen, wie lange ich noch gut arbeitsfähig bin.

Was wünschen Sie Ihrem Nachfolger?

Wir sind gut unterwegs bei den Übergabegesprächen. Wenn ich an einem Freitag aufhöre und mein Nachfolger am Montag beginnt, wird die Übergabe optimal erfolgt sein. Gerhard Bisovsky wird sicher sehr erfolgreich sein.

Alles Gute für die nacherwerbstätige Lebensphase und danke für das Gespräch!


Univ.-Doz. Dr. Wilhelm Filla
Studium der Soziologie an der Universität Wien. 1973 Pädagogischer Assistent in der Volkshochschule Wien-Nord und ab Herbst 1974 Direktor der VHS Hietzing. Von 1979 bis 1983 Landesjugendreferat der Stadt Wien und seit 1. Jänner 1984 Generalsekretär des Verbandes Österreichischer Volkshochschulen (VÖV). Redakteur der Fachzeitschrift "Die Österreichische Volkshochschule". 2003 Habilitation für Weiterbildung. Seit 2010  Aufsichtsratmitglied der VHS Stuttgart. Lehrbeautragter an der Universität Klagenfurt. Mit 1. Juni 2012 Übertritt in die Pension und Übergabe der Funktion des Generalsekretärs an Dr. Gerhard Bisovsky, vormals Leiter der VHS Meidling.

 

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