"Was ich zu sagen hätte, interessiert keinen"

22.02.2012, Text: Wilfried Hackl (seit 2016: Wilfried Frei), Redaktion/CONEDU
Vorschau zum neuen "Magazin": Vamperl-Autorin Renate Welsh-Rabady berichtet über Schreibwerkstätten mit Obdachlosen.
"Sprachlosigkeit ist ein Gefängnis, in dem viele, ohne je vor ein ordentliches Gericht gestellt worden zu sein, eingesperrt sind". Mit diesen berührenden Worten eröffnet Renate Welsh- Rabady ihren Beitrag zur Ende Februar erscheinenden Ausgabe des Magazin erwachsenenbildung.at. Als Kinder- und Jugendautorin mit Büchern wie "Das Vamperl" (1979) bekannt geworden, widmet sich Welsh-Rabady seit geraumer Zeit auch der Erwachsenenbildung und führt Schreibwerkstätten durch - unter anderem für vormals obdachlose Menschen, die sich durch das Schreiben wieder Ausdruck verschaffen. Gemeinsam mit 20 weiteren AutorInnen füllt sie das neue Magazin, das die Erscheinung von Kunst und Literatur in Bildungszusammenhängen thematisiert.

Schreiben verbindet
"Mit den Jahren sind diese unregelmäßig-regelmäßigen Nachmittage in der Wilhelmstraße für mich immer wichtiger geworden, aber keineswegs einfacher", berichtet die Autorin. In der Wilhelmstraße, das ist in der Notschlafstelle VinziRast-CortiHaus in Wien, einem Übergangswohnheim für obdachlose Menschen und einer Wohngemeinschaft für abstinent lebende Alkoholkranke. Im reflexiven Erzählton zeichnet die Literatin das Stimmungsbild illusionsloser Menschen, die durch das Schreiben und Vorlesen des Geschriebenen in Kontakt mit sich selbst und anderen gelangen.

Schreiben erfolgt methodisch
Mit den Jahren entstand eine Reihe von Methoden, um in den Schreibwerkstätten zu arbeiten. Der "Geschenktext" zum Beispiel beinhaltet lauter Worte, die mit den einzelnen Anfangsbuchstaben des Namens jener Person beginnen, der dieser Text vermacht wird. Die "Assoziationsspirale" zeigt, wie man durch die spiralförmige Aufreihung bunt zusammen gesammelter Begriffe eigensinnige Texte erzeugen kann. "Spontante Aufgaben" entstehen situativ. "Einmal kam einer der Teilnehmer mit einer Reihe baumelnder Medaillen am Pullover in die Schreibwerkstatt" erzählt Welsh-Rabady. Sofort begann man mit der Erstellung von Texten zur Frage, wofür sich die Teilnehmenden selbst einen Orden verleihen würden.

Schreiben beflügelt die Schreibenden
Was lernt eine angesehene Autorin aus dieser Arbeit? "Erfolge sehen", sagt Renate Welsh-Rabady selbst in ihrem Artikel, denn das sei ein wichtiger und längst nicht abgeschlossener Prozess. "Es ist schön mitzuerleben, wie Menschen, die von sich sagen, dass sie ganz unten angekommen sind, sich über ihre eigene Leistung freuen und wieder staunen lernen." So wird gezeigt, wie Schreibwerkstätten ein Mittel des Ausdrucks und der Auseinandersetzung mit sich selbst sind.

Magazin online ab 29. Februar
In der Erwachsenenbildung ist die Auseinandersetzung mit Kunst und Literatur wesentlich. Persönlichkeitsentwicklung und Gesellschaftskritik gehen mit Kunst und Literatur unverzichtbar Hand in Hand. Wo aber zeigen sie sich in der Erwachsenenbildung? In welchem Kontext werden sie eingesetzt? Wo liegen ihre Möglichkeiten, wo ihre Grenzen? Diesen und vielen anderen Fragen versucht die kommende Ausgabe des Magazin erwachsenenbildung.at mit Beiträgen zur Theorie und theoriegeleiteten Praxis nachzuspüren. Vorgestellt werden unter anderem Modelle der Lehr- und Lernbarkeit von Schreiben, künstlerisch-biografieorientierte Lehr-Lernmethoden, theaterpädagogische Mittel, aktuelle Beispiele von Kunstaktionen oder auch feministischer Kunst und Literatur im Bildungseinsatz. In ihrer Gesamtheit zeigen die Beiträge, dass Kunst und Literatur dort einsetzen, wo Bildung und Wissen keine festschreibbaren Sicherheiten bieten. Sie entziehen sich der Begrenztheit einfacher pädagogischer Absicht und erlauben so die Überschreitung objektiver Gewissheiten.
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