Zur Zukunft des Lehrens und Lernens im Strafvollzug

07.08.2017, Text: Christine Bärnthaler, Redaktion/CONEDU
Digitale Lernmedien erobern den „Häfn“ und bewegen sich dabei in einem Spannungsfeld von Technik und Sicherheit.
Digitale Medien bieten neue Möglichkeiten für das Lehren und Lernen im Strafvollzug
CC0 JeongGuHyeok/pixabay.com, "tastatur-schlüssel"
Laut Bildungsmanagerin Svenje Marten sind Justizanstalten in Deutschland und Österreich in den letzten Jahren gegenüber der Nutzung digitaler Lernmedien offener geworden. Dabei haben sie erkannt, dass das Kennenlernen der sinnvollen Verwendung digitaler Instrumente eine notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche Re-Integration ehemaliger Gefangener in die Gesellschaft ist. Zudem bieten digitale Instrumente eine gute Möglichkeit, um auf die individuellen Bildungsbedürfnisse Inhaftierter flexibel einzugehen.

 

Der österreichische Strafvollzug steht vor der Herausforderung, die rasanten Entwicklungen außerhalb der Mauern nicht aus den Augen zu verlieren. Die Frage ist, wie die Gratwanderung zwischen pädagogisch notwendigem und sinnvollem Einsatz digitaler Werkzeuge und den hohen Sicherheitsanforderungen des modernen Strafvollzuges gelingen kann.

 

Digitale Medien bieten neue Chancen auch im Strafvollzug

Die Bildungsarbeit im Rahmen der Haft hat das Ziel, auf ein straffreies Leben nach der Entlassung vorzubereiten. Die Gestaltung dieser Bildungssettings unter den strengen organisatorischen Rahmenbedingungen eines Gefängnisses ist eine Herausforderung, da geeignete niederschwellige Lehr- und Lernmaterialien für Inhaftierte meist rar sind. In Österreich sind derzeit rund 9.000 Menschen in 27 Justizanstalten inhaftiert, davon sind 95% männlich. Viele der Inhaftierten haben brüchige Bildungsbiografien gepaart mit einer entsprechend negativen Einstellung zum Lernen. Der Anteil an Personen ohne Ausbildungs- und Schulabschluss ist unter Strafgefangenen überdurchschnittlich hoch.

 

Die Akzeptanz der Gefangenen gegenüber digitalen Medien ist laut Erziehungswissenschaftlerin Ariane von der Mehden sehr groß, nicht zuletzt weil private technische Geräte bei Haftbeginn abgegeben werden müssen. Die Nutzung eines Computers sehen viele Gefangene als eine willkommene Abwechslung zum Haftalltag. Lernprogramme bieten ein neutrales Feedback auf Fehler – ohne negative Emotionen. Das fördert die Lernmotivation. Die meisten modernen digitalen Medien bieten zudem den Vorteil, dass sie intuitives Lernen ermöglichen, was dem Lernverhalten der Gefangenen sehr entgegen kommt.

 

Die elis-Lernplattform – ein grenzüberschreitender Bildungsverbund

Die Justizverwaltungen haben die Notwendigkeit und Chance erkannt, digitale Medien im Strafvollzug sinnvoll einzusetzen. Zwischen 2009 und 2011 wurde im Zuge eines vom europäischen Sozialfonds (ESF) geförderten Projektes die elektronische Lernplattform e-Learning im Strafvollzug (elis) umfangreich weiterentwickelt und verstetigt. Diese Lernplattform ist eine Besonderheit im deutschsprachigen Raum, da sie insgesamt über 100 Justizanstalten in 12 von 16 deutschen Bundesländern sowie alle 27 österreichischen Justizanstalten vereint. Die Lernplattform wird vom Institut für Bildung in der Informationsgesellschaft (IBI), einem Kooperationsinstitut der Technischen Universität Berlin, technisch und pädagogisch betreut.

 

Auf der Plattform sind derzeit rund 440 Lernprogramme für die schulische und berufliche Bildung sowie Materialien zur Vermittlung von Medien-, Sozial- und Alltagskompetenzen zu finden. Auch die FWU-Mediathek des Instituts für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht mit über 5.000 audiovisuellen Medien ist eingebunden. Die Lerninhalte stehen den Strafgefangenen in speziell eingerichteten Computerräumen zur Verfügung. Diese Schulungsräume wurden nach einem strengen Sicherheitskonzept eingerichtet, das den Inhaftierten weder eine Kommunikation mit der Außenwelt noch das Aufrufen von nichtgeprüften Internetseiten ermöglicht. Auch sinnvolle Lernangebote im Internet werden den Gefangenen zur Verfügung gestellt. Sie können mit einer speziellen Technik punktuell freigegeben werden.

 

Weiterentwicklung in einem partizipativen Ansatz

Das Erfolgskonzept der elis-Plattform ist laut Erziehungswissenschaftlerin Ariane von der Mehden vom IBI der partizipative Entwicklungsansatz: „Die Plattform hat über die Jahre so gut funktioniert, da alle Beteiligten mitwirken können. Es funktioniert wie eine große Gemeinschaft. Alle ziehen einen Mehrwert daraus." Die Plattform wird mit den Lehrenden weiterentwickelt. Sie testen z.B. neue Lernprogramme und entscheiden mit, was auf die elis-Plattform kommt. Die Lehrenden berücksichtigen dabei auch die Wünsche der Gefangenen.

 

Der Einsatz digitaler Medien ermöglicht mehr Flexibilität und Bedarfsorientierung

In Österreich werden im Strafvollzug vor allem Selbstlernprogramme eingesetzt, die den Gefangenen eine eigenständige Auseinandersetzung mit dem Lernstoff ermöglichen. Besonders beliebt ist der Europäische Computerführerschein (ECDL), welcher Computerkenntnisse zertifiziert. Dies erhöht die Chancen der Gefangenen bei der Arbeitsplatzsuche nach ihrer Freilassung. Oftmals werden die Gefangenen auch von SozialpädagogInnen, beispielsweise mithilfe von pädagogisch wertvollen Spielen an digitale Medien herangeführt. Die Sicherheit steht dabei immer im Vordergrund. Es ist aber immer eine Gratwanderung zwischen dem, was pädagogisch sinnvoll wäre, und was sicherheitstechnisch notwendig ist. Der Vorteil digitaler Medien ist, dass sie mit unterschiedlichen Schwerpunkten sehr individuell und bedarfsgerecht eingesetzt werden können. Allerdings gibt es auch sehr viele Hürden für e-Learning im Strafvollzug. Wichtig ist, dass das Angebot sehr niederschwellig aufgebaut ist. Viele Gefangene müssen auch erst an das Medium „Computer" herangeführt werden. Hier spielt die Vermittlung von Medienkompetenz eine sehr große Rolle.

 

Mit Blick auf die Entwicklungen und auf das bereits Erreichte stellt sich für Ariane von der Mehden nicht mehr die Frage, ob man digitale Medien im Strafvollzug einsetzt, sondern wie man das macht. Das sei ein großer Erfolg – viele Bedenken konnten in den vergangenen Jahren abgebaut werden. Nun geht es um das „Wie". Im Spannungsfeld von Sicherheit und Technik können nun die Lehr- Lernkonzepte unter die Lupe genommen und im Zusammenspiel von Lernort und Einsatzszenario erweitert werden.

 

Strafvollzug fördert Lernprozesse

Eine abgeschlossene Ausbildung erhöht die Jobchancen und damit auch die Integration in die Gesellschaft. Michael Lasthaus schreibt in seinem Beitrag über Alphabetisierung in der Forensik: „Die Unkenntnis bzw. mangelhafte Kenntnis grundlegender Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben und Rechnen wird in unserer Gesellschaft meistens stigmatisiert, was nicht selten Minderwertigkeitskomplexe hervorruft und in die Isolation führt. Es gilt inzwischen als belegt, dass diese Faktoren in Kombination mit den desolaten (sozialen) Strukturen mindestens mitursächlich für erhebliche rechtswidrige Taten sein können.". Vielfach führten Probleme bei der Alltagsbewältigung u.a. aufgrund eines Mangels an Zeit- und Geldressourcen zum Abbruch von Lernprozessen. Im Strafregelvollzug fielen diese aufgrund des geregelten Alltags weg, so dass Gefangene sich auf Schreib- und Lernprozesse besser konzentrieren könnten, so Lasthaus weiter. Der Strafvollzug bietet daher Inhaftierten gute Rahmenbedingungen, um Bildungsabschlüsse nachzuholen und sich neue Fertigkeiten anzueignen.

 

Vision und Ziele zum digitalen Lernen im Strafvollzug

Ein grundsätzliches Ziel der elis-Plattform ist es, den Zugang zu Bildung im Strafvollzug zu ermöglichen. Dabei ist vor allem Grundbildung sehr wichtig. Deutsch als Zweitsprache (DaZ) gewinnt ebenso an Bedeutung, da der Anteil der Gefangenen mit nichtdeutscher Muttersprache steigt. Aus diesem Grunde wäre es für Erziehungswissenschaftlerin von der Mehden wünschenswert, die Lerninhalte der Plattform in Zukunft mehrsprachig zu gestalten.

 

Eine weitere Zukunftsvision ist es, die Lernorte zu erweitern und zu flexibilisieren. So könnten die Inhaftierten mit mobilen Lösungen wie z.B. speziell gesicherten Tablets auch in der Werkstatt oder in ihrer Freizeit im Haftraum Bildungsinhalte abrufen und bearbeiten. Pilotprojekte in Hessen und Berlin gibt es dazu bereits. Die große Herausforderung ist hierbei, Geräte und W-LAN sicher zu machen.

 

Wünschenswert ist auch, dass der Markt mehr Bildungsangebote entwickelt, die für diese Zielgruppe geeignet sind. So gibt es bei den Gefangenen einen großen Bedarf, sich sehr elementare Kompetenzen wie z.B. die Organisation der allgemeinen Dinge des Lebens (Essen, Wohnen, Arbeiten) oder den sachgerechten Umgang mit Konflikten oder mit Behörden/Anträgen etc. anzueignen.

 

Auch das Lernen miteinander und voneinander könnte in Zukunft ein Thema im Strafvollzug werden. Probeversuche gibt es dazu bereits in Österreich, wo ausgewählte Gefangene andere Gefangene bei der Anwendung der elis-Plattform unterstützen.

Weitere Informationen:
Quelle: EPALE E-Plattform für Erwachsenenbildung in Europa

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